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Morgen trauert Oxford

Morgen trauert Oxford

Titel: Morgen trauert Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
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und obwohl das Weiße blutunterlaufen war, wirkten sie wie ein heller Glanz in ihrem grauen Gesicht.
    Weiter unten vernahmen sie Coffins Flöte. Es musste Coffin sein, denn er spielte »Whisky in the Jar«.
    Doch Dime mochte das Mädchen nicht allein lassen. Er stellte sich neben sie und redete noch auf sie ein, als Ant und Gren sich längst zum Gehen gewandt hatten.
    »Woher kommst du?«, fragte er.
    Das Mädchen beachtete ihn nicht.
    Doch Dime wich nicht von der Stelle. Er stand einfach nur da und sah sie an, bis Ant schließlich sagte: »Okay, dann nehmen wir sie eben mit. Aber hilf mir wenigstens, sie auf die Füße zu bekommen.«
    »Ganz schön wild«, stellte er fest, als sie erneut mit ihren schmutzigen Füßen nach seinen Beinen in den sauberen Jeans trat. »Wenn wir sie nach Hause bringen wollen, müssen wir sie auf der Treppe zwischen uns nehmen.«
    »Sie hat noch nicht einmal einen Namen«, stellte Gren fest.
    »Sie ist unser Treppen-Bengel«, erklärte Ant. »Ich werde sie Angel nennen.« Er packte sie fest am Oberarm. »Nimm den anderen Arm, Gren. Wir bringen sie nach Hause.«
    »Sie riecht aus dem Mund.« Gren rümpfte die Nase. »Sogar noch schlimmer als Dime.« Doch er tat wie geheißen.
    »Hältst du sie bitte kurz fest, Dime?«, sagte Ant. »Ich gehe schnell und erkläre Coffin, was los ist und warum Gren ihn nicht ablöst.«
    Schon wenige Minuten später kam er zurück und nahm Angels Arm. Langsam bewegten sich die vier Gestalten die St. Martins Lane entlang. Hinter ihnen hob Coffin die Flöte an die Lippen und begann »She moved through the Fair« zu spielen.

KAPITEL 4
    Seiltänzer, Schauspieler (die um des Gewinns willen auf der Bühne agieren) sowie Degenfechter haben keinen Zutritt zur Universität von Oxford. Jeder Schauspieler, Seiltänzer und Fechter, der dieses Gebot missachtet, wird mit Karzer bestraft.
    Laud’s Code, 1636

    E
    igentlich sollte der Oktober die schönste Zeit des gesamten Jahres in Oxford sein, dachte Kate. In der vergangenen Woche hatten sich alle Blätter golden, rot und braun gefärbt. Doch vor zwei Tagen waren dicke Wolken am Himmel aufgezogen. Sie hatten Dauerregen und viel Wind mitgebracht, und jetzt lagen die Blätter tot, nass und matschig auf den Bürgersteigen. Die Touristen waren abgereist und die Studenten zurückgekehrt. Der Oktober sollte eine Zeit der Hoffnung und der Erneuerung sein. Doch die Gesichter bleiben jedes Jahr die gleichen; nur die Namen ändern sich.
    Mit düsterem Blick sah sie sich in ihrem Wohnzimmer um. Gestern noch war es aufgeräumt, sonnenhell, warm und einladend gewesen. Und heute? Völlig ruiniert. Kate liebte es, ihr Leben unter Kontrolle zu haben. Sie liebte es, auf dem Sofa zu sitzen und eine Vase mit einem hübschen Blumengesteck zu bewundern. Sie liebte es auch, bei einer Tasse chinesischem Tee die völlige Staubfreiheit ihrer Nippes-Sachen auf dem Kaminsims zu genießen. Allerdings musste sie zugeben, dass ihr so etwas nicht häufig passierte. Dafür verbrachte sie einfach zu viel Zeit mit ihrem neuesten Roman im Arbeitszimmer. In ihrem sauberen, aufgeräumten Arbeitszimmer.
    Nur ein Mann konnte ein Zimmer innerhalb kürzester Zeit in ein Chaos verwandeln. Hatte er es nicht gemerkt? War es ihm etwa egal? Waren alle Männer so oder nur dieses besondere Exemplar?
    Kate hatte ihren Freund und zeitweiligen Liebhaber Liam Ross eingeladen. Es war Sonntag. Liam saß auf Kates pinkfarbenem Samtsofa und las die Sonntagszeitungen. Er hatte gleich zwei gekauft, die sich zu einem ziemlichen Papierberg stapelten; die einzelnen Themengebiete verteilten sich säuberlich zerlegt auf Teppich, Tisch und Sofa. Kate befürchtete bereits Spuren von Druckerschwärze auf dem rosa Stoff. Sie sehnte sich danach, die überall herumliegenden Zeitungsteile einzusammeln, zu falten und auf einen einzigen Stapel auf den Tisch zu legen, doch sie wusste, dass sie Liam damit verärgern würde, und daher unterließ sie es. Sie hatten gerade Tee getrunken und selbst gebackene Waffeln mit viel Butter und Marmelade gegessen. Liams Tasse und Teller waren nebst Messer irgendwo unter den Zeitungen verschwunden.
    Was Kate besonders ärgerte, war die Tatsache, dass es Liam während der letzten halben Stunde nicht der Mühe wert gefunden hatte, mit ihr zu reden – außer als er die letzte Waffel verlangte. Sie selbst hatte ein paar Versuche gemacht, ein Gespräch zu beginnen, war aber jedes Mal abgeblitzt. Es gab zwei Dinge, über die sie gern mit ihm geredet hätte, aber

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