Morgen trauert Oxford
Liam hatte jeden Ansatz ignoriert, als wüsste er, um was es ging, und hätte keine Lust, darüber zu reden. Sie hob eine Hand voll Zeitungsseiten auf, faltete sie, legte sie auf den Tisch und entschloss sich, es erneut zu probieren. Es war höchste Zeit, ihn aus der Reserve zu locken.
»Es macht dir also nichts aus, wenn ich ins College komme und selbst mit dieser Frau spreche?«
Jetzt endlich hatte sie seine Aufmerksamkeit. Mit einem verblüfften Ausdruck blickte er von der Kunstbeilage der Sonntagszeitung auf. Kate war noch nie bis an seinen Arbeitsplatz vorgedrungen. »Wie bitte?«
»Letzte Woche habe ich dich deswegen angerufen, aber du hast dich nicht darum gekümmert. In der letzten halben Stunde habe ich mehrfach versucht, dieses Thema anzuschneiden. Ich könnte doch einfach hingehen und mich als deine Bekannte vorstellen.« Sie sagte ihm nicht, dass sie genau das in ihrem Brief an Olivia Blacket bereits getan hatte.
»Ich glaube kaum, dass das eine sehr gute Idee ist. Du weißt doch, wie Akademiker sind: Sie leben in ihrer eigenen Welt und fühlen sich sofort angegriffen, wenn ein Außenstehender ihnen zu nahe tritt. Um was geht es eigentlich?«
»Um mein neues Buch über Maria Susanna Taylor …«
»Über wen?«
»Verheiratet mit dem Oxforder Braumeister Rowland Taylor. Ihre Schwester Nelly Ternan war eine enge Freundin und ständige Begleiterin von Charles Dickens.« Sieh einer an, dieses Mal hatte sie es sogar mit zwanzig Worten geschafft.
»Was kümmert uns das neunzehnte Jahrhundert? In aktuellen Zeitungen sind weiß Gott genügend Kungelei und Unmoral zu finden.« Liam wandte sich wieder seiner Lektüre zu.
»Ich lege keinen Wert auf eine Klage wegen übler Nachrede. Und außerdem schreibe ich historische Romane.« Sie wünschte, Liam würde wenigstens so tun, als interessiere ihn ihre Arbeit. Immerhin hatte er ihren Erträgen sein Mittagessen und das gemütliche Zimmer zu verdanken, in dem sie sich gerade aufhielten. »Nach dem Besuch bei ihr könnten wir uns vielleicht zum Essen treffen.«
»Und warum willst du unbedingt meine Kollegin treffen?« Offensichtlich war das der einzige Punkt, der Liams Aufmerksamkeit fesseln konnte.
»Ich weiß genau, dass ich dir das schon am Telefon erklärt habe.« Hörte er ihr überhaupt je zu?
»Dann sag es mir noch einmal.«
»Dr. Olivia Blacket vom Leicester College ist im Besitz kürzlich entdeckter Tagebücher und Briefe von Maria Taylor, die sie zur Veröffentlichung vorbereitet. Und ich möchte wissen, ob es darin vielleicht die Andeutung eines Skandals gibt, den ich in meinem Buch verwerten könnte.«
»Ah«, nickte Liam, »allmählich verstehe ich. Am Mittagstisch wurde zwischen kritischen Bemerkungen über das Essen und der Beurteilung des Tischweins sowie den neuesten Fußballergebnissen etwas Derartiges erwähnt. Irgendwer sprach über die Arbeit von Dr. Blacket. Jetzt fällt mir auch ein, dass du letzte Woche etwas in dieser Richtung gesagt hast.« Kate hatte den Eindruck, dass Liam sich sehr gut erinnerte, es aber nicht zugeben mochte. »Lass mir ein bisschen Zeit. Hör auf zu drängeln. Nächste Woche spreche ich mit Dr. Blacket. So etwas sollte man nicht über’s Knie brechen, sondern sanft vorbereiten. Sie …«
»Nächte Woche ist es zu spät. Und ehrlich gesagt, ich habe ihr längst geschrieben und um ein Treffen gebeten. Eigentlich hatte ich gehofft, du könntest bei ihr ein gutes Wort für mich einlegen. Sag ihr doch einfach, deine Freundin – deine sehr gute Freundin – würde für ihr Leben gern alles hören, was sie über Maria Taylor und ihre Schwester Nelly herausgefunden hat. Und wenn schon nicht alles, dann doch wenigstens ein winziges, faszinierendes Stückchen. Erkläre ihr, dass wir Schwestern sind, die sich gegen eine von Männern dominierte Welt verbündet haben, um sich auf ehrliche Weise ihren Lebensunterhalt zu verdienen.«
»Und du glaubst allen Ernstes, dass sie dich an ihrem Fund teilhaben lassen wird?« Er schützte ein unstillbares Interesse an einem Bericht über eine Gemäldeausstellung in Glasgow vor. »Wenn du dieser Ansicht bist, dann hast du wirklich keine Ahnung von Akademikern.« Am Klang seiner Stimme erkannte sie, dass er die Diskussion für beendet erachtete. Das mochte vielleicht bei seinen Studenten ziehen, aber Kate ließ sich nicht so schnell abservieren.
»Was mich an dir stört, Liam – eines der Dinge, die mich an dir stören –, ist deine Art, das Leben in lauter verschiedenen
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