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Morgen trauert Oxford

Morgen trauert Oxford

Titel: Morgen trauert Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
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Grün, das man mitten im Sommer sieht, wenn man auf dem Rücken auf einer Wiese liegt und in die Krone einer Kastanie hinaufblickt. Etwas höher als die Mitte, ein kleines Stück rechts entdeckte Angel einen schwarz-braun-weißen Fleck. Sie konnte nicht erkennen, was es war. Vielleicht ein zusammengekauerter Dämon, der auf sie wartete. Sie wusste, dass es einen Dämon geben musste. Doch sie hatte seinen Namen vergessen.
    Als sie später wieder hinsah, hatte sich der Fleck nach unten und weiter in die Mitte bewegt. Die Formen rückten auseinander, und Angel erkannte drei Kühe. Sie weideten, die Köpfe dicht beieinander und die Schwänze in ständiger Bewegung gegen die Fliegen. An den Flanken des Hügels gab es Flecken in einem etwas dunkleren Grün, die wie räudiges Fell aussahen. Sie erkannte in ihnen eine Art niedriges, struppiges Buschwerk. Weiter oben standen Bäume. Niedrige, gebeugte Bäume, die sich an den Hügel schmiegten, als ob sie Schutz bei ihm suchten, weil Größe und Unabhängigkeit vom Wind bestraft wurden.
    Bald würde sie in der Lage sein, aus dem Bett aufzustehen und zum Fenster zu gehen. Sie wollte mehr sehen als ein grünes Rechteck mit drei weidenden Kühen. Im Krankenhaus hatte sie das nicht geschafft. Krankenhaus. Sie verbannte den Gedanken, ehe er gefährlich werden konnte. Wenn sie so weit wäre, zum Fenster zu gehen und es zu öffnen, würde sie die Aussicht sicher besser verstehen und in einen Zusammenhang bringen können.
    Sie befand sich in einem Bett – wenigstens einer Art von Bett –, kannte aber weder ihren Aufenthaltsort, noch wusste sie, wie sie hergekommen war. Jemand hatte Decken über sie gebreitet. Sie kuschelte sich hinein und rollte auf die Seite. Wenn sie einschlief und wieder erwachte und dann noch einmal schlief, würde sie nach dem nächsten Aufwachen vielleicht mehr von alledem verstehen.
    Als Nächstes erinnerte sie sich daran, dass sie mitten in der Nacht aufgewacht war. Sie hatte sich aus dem Bett gleiten lassen und war zum Fenster hinübergeschlurft. Die Vorhänge waren offen, und sie konnte hinaussehen. Etwas hatte ihre Aufmerksamkeit erregt; deshalb hatte sie sich zum Fenster geschleppt.
    Auf der dunklen Hügelflanke stach etwas Weißes hell aus der Finsternis hervor. Es klammerte sich an einen der Büsche und flatterte wie ein Wimpel im Wind. Einen Augenblick lang glaubte sie, es sei ein Baby-Häubchen. Doch was hätte ein Baby-Häubchen mitten in der Nacht auf einem Hügel zu suchen? Sie zog die Vorhänge zu und kletterte wieder ins Bett.

    Draußen auf dem Hügel löste sich eine vom Wind aus der Mülltonne gezerrte und inzwischen ziemlich zerfetzte Plastiktüte von einem Holunderstrauch und setzte ihre Reise nach Osten fort. Kurz vor dem Morgengrauen ließ der Wind sie fallen. Sie fand ihre letzte Ruhestätte unter einer Hecke ganz in der Nähe von Bideford.

    Vor Kate Ivory lag Dr. Olivia Blackets Antwort auf ihren Brief. Zwei Zeilen. Zwei mit roter Tinte handgeschriebene Zeilen auf einer Postkarte mit der vorgedruckten Adresse ihres College: es täte Dr. Blacket zwar Leid, aber sie sehe sich nicht in der Lage, Miss Ivory zu empfangen. Und das nach Kates sorgfältig in Worte gefasstem und höflichst formuliertem Schreiben und der Auseinandersetzung mit Liam am Sonntagnachmittag. Sie hatte die Stimmung zwischen ihnen verdorben und ihn bewogen, frühzeitig ins College zurückzufahren – ganz umsonst. Hätte Liam ihr nur eine winzige Hilfestellung gegeben, vielleicht ein paar Worte beim Kaffee im Aufenthaltsraum, hätte alles ganz anders kommen können.
    Plötzlich blitzte ein schlimmer Gedanke in Kate auf. Vielleicht hatte Liam ja mit Olivia Blacket gesprochen und Kate dabei so herabgesetzt, dass seine Kollegin kein Interesse an einem Treffen mehr hatte. Nein, so etwas würde er wohl nicht tun. Viel wahrscheinlicher war, dass er schlicht vergessen hatte, ihr eine E-Mail zu schicken oder eine Nachricht in ihrem Fach zu hinterlassen – oder wie auch immer Akademiker heutzutage miteinander kommunizierten.
    Und jetzt? Kate verfügte schließlich nicht umsonst über Einfallsreichtum und ein dickes Fell. Nach ihren Abenteuern in Fridesley, als sie vielen Leuten unbequeme Fragen wegen einer ermordeten Zahnärztin gestellt hatte, würde sie es ganz bestimmt mit einer ganz gewöhnlichen, wenn auch wütenden Akademikerin aufnehmen können.
    Als Erstes konsultierte Kate das Telefonbuch. Der Name Blacket war einigermaßen selten. Falls sie registriert war, würde

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