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Morgen trauert Oxford

Morgen trauert Oxford

Titel: Morgen trauert Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
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Kate sie sicher finden.
    Dr. Blacket wohnte in Nord-Oxford. Kate schrieb die Adresse auf. Fünf Minuten mit dem Auto. Sie überlegte, wann wohl die beste Zeit sein mochte, sie zu Hause zu erreichen. Natürlich wollte sie nicht zuvor anrufen und die Dame vorwarnen. Jemand, der ein erbetenes Treffen ohne ein Wort der Entschuldigung in zwei Zeilen ablehnte, würde sicher auch sang- und klanglos den Hörer auflegen.
    Manchmal führen auch Umwege zum Ziel, sagte sich Kate. Sie rief an – aber nicht etwa Dr. Blacket, sondern das Leicester College.
    »Ich hatte gehofft«, säuselte sie in einem Ton, von dem sie annahm, er höre sich gelehrt genug an, »Dr. Blacket heute Nachmittag in ihrem Büro zu erreichen. Ich muss sie unbedingt noch vor der nächsten Vorstandssitzung sprechen. Wissen Sie, wann sie im Haus ist?«
    Die Pförtner der Colleges wussten immer, wo sich ihre Dozenten aufhielten – das war eine allgemein bekannte Tatsache.
    »Dr. Blacket«, wiederholte eine gewichtige Stimme. »Dann wollen wir mal sehen. Wir haben Montagnachmittag. Nein, Madam, ich fürchte, Sie haben kein Glück. Dr. Blacket arbeitet heute Nachmittag zu Hause an ihren Recherchen. Zum Abendessen hat sie sich ebenfalls nicht angemeldet, wird also auch am Abend nicht im Institut sein. Sie könnten es morgen früh versuchen. Um zehn Uhr hält Dr. Blacket ein Tutorium. Meistens ist sie mindestens eine halbe Stunde früher im Büro.«
    »Vielen Dank. Dann probiere ich es morgen noch einmal«, log Kate und legte auf.
    Sie ging nach oben und widmete sich der Frage nach der passenden Kleidung, um uneingeladen in das private Domizil einer Akademikerin einzudringen. Geschäftsmäßiger Hosenanzug und einfarbige, aber leuchtende Bluse, entschied sie. Bei Matadoren funktionierte es – warum also nicht auch bei ihr? Ein Paar bequeme Schuhe, falls sie schnell verschwinden musste. Eine kleine, kompakte Handtasche, die sie im Notfall auch als Waffe benutzen konnte. Kate war froh, dass ihr Freund, der Polizist Paul Taylor, sie in diesem Moment nicht sehen konnte. Er zeigte sich nie sonderlich begeistert von ihren listigen Methoden, sich Zutritt zu fremden Häusern zu verschaffen. Allerdings hatte sie schon einige Wochen nichts mehr von Paul gehört und brauchte sich vermutlich keine Gedanken darüber zu machen, was er von ihr hielt. Nicht dass sie ihn wirklich vermisste, aber nachdem er ihr gerade eingefallen war, könnte sie ihn eigentlich wieder einmal anrufen und ihn zum Mittagessen einladen. Mittagessen war unverfänglich; er würde sich keine falschen Hoffnungen machen. Sie könnte ihm erzählen, was sie seit ihrem letzten Treffen erlebt hatte, und eine kurzweilige Stunde damit verbringen, sich seine Einwände anzuhören. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem aktuellen Problem zu, begutachtete sich kritisch im Spiegel und entschied sich für lange, goldene Ohrringe mit falschen Rubinen. Etwas optimistischer überprüfte sie den Inhalt ihrer Handtasche und steckte noch einen Block und einige Stifte ein. Schließlich war sie Schriftstellerin.

    Ant schlenderte allein durch Oxford. Die anderen hatte er an den vorgesehenen Stellen platziert. Coffin stand mit seiner Flöte an der Ecke Brasenose Lane und Radcliffe Square. Nach Regenschauern am Vortag schien jetzt wieder die Sonne; Coffin spielte fröhliche Reels und Jigs und lächelte den Passanten zu, die Zwanzig-Pence-Stücke in seinen schwarzen Instrumentenkoffer fallen ließen.
    »Danke sehr, Sir. Danke, Madam«, sagte er im schönsten irischen Dialekt. Die Passanten liebten ihn. Studenten blieben stehen und hielten ein Schwätzchen mit ihm, wenn er Pause machte. Im Gegenzug versorgte er sie mit irischen Bauernweisheiten, die sie mit in ihre Vorlesungssäle nahmen.
    Auf der entgegengesetzten Seite des Platzes saß Gren im Schatten und sah bleich, dünn und hungrig aus. Seiner natürlichen Blässe hatte er mit kunstvoll an den richtigen Stellen aufgelegtem braunem und violettem Lidschatten nachgeholfen. Wenn jemand an ihm vorüberging, stieß er ein gequältes »Bitte um eine milde Gabe!« aus, das ihm schon einige Pfund in seine Blechdose beschert hatte.
    Für eine Anfängerin stellte sich auch Angel recht geschickt an. Sie saß genau in der Haltung, die Ant mit ihr einstudiert hatte, neben dem Eingang zu Blackwell’s. Seit sie das College namens Leicester entdeckt hatten, schien sie noch einsilbiger geworden zu sein. Doch die Familie glaubte nicht, dass das College etwas mit ihrer Angel zu tun

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