Morgen trauert Oxford
leichter nachdenken.
Vor langer Zeit, als sie zu Ant und der Familie gekommen war, hatte sie ihnen erklärt, sie könne sich weder an ihren Namen noch an irgendetwas anderes erinnern, was sie selbst betraf. Damals war es wahr gewesen. Sie wusste nichts weiter, als dass sie nach Leicester musste; den Grund dafür kannte sie nicht.
Sie hatte jedoch verschwiegen, dass sie sich an einen ganz bestimmten Namen erinnerte. Seine Bedeutung war ihr schleierhaft, er war jedoch unmittelbar mit Leicester und ihrem verzweifelten Streben dorthin verbunden. Außerdem war ihr klar, dass es sich nicht um ihren eigenen Namen handelte.
Inzwischen aber kehrte die Erinnerung langsam zurück. In winzigen Schritten. Längst nicht alles und oft nur bruchstückhaft. Auf der Leinwand ihres Gedächtnisses zeigten sich nach und nach abgerissene Episoden, manchmal aber auch vollständige Szenen.
Ant würde ihr bestimmt erklären, dass sie solche Dinge nicht für sich behalten durfte, sondern sie mit der Familie teilen und Probleme in der Gruppe lösen sollte. Manchmal fragte sie sich, wie zum Beispiel Dime mit ihrer Geschichte umgehen und welche Vorschläge er unterbreiten würde. Oder Gren. Oder auch Coffin. Sie wünschte sich sehnlichst, sie könnte ihr Wissen um das, was geschehen war, und das, was sie tun musste, jemandem mitteilen. Nur allzu gern hätte sie sich einem Freund anvertraut.
Inzwischen wusste sie nämlich wieder, warum sie die Frau namens Blacket finden musste, und sie wusste auch, was sie zu tun hatte, wenn sie ihr im Leicester College begegnete.
»Hast du mir diese Frau auf den Hals gehetzt?«, fragte Olivia Blacket.
»Nein wirklich, Olivia, ich habe versucht, sie abzuwimmeln. Ganz ehrlich!«
»Wer ist sie überhaupt?«
»Sie ist Schriftstellerin. Schreibt Romane.«
»Mist schreibt sie! Historische Romane. Romantischen Quatsch über Dinge, von denen sie nichts versteht.«
»Ich finde dein Urteil ein bisschen hart«, wandte Liam ein.
»Ich wüsste nur gern, was du mit ihr zu schaffen hast.«
Niemand konnte selbst noch am Telefon so wirksam Gift versprühen wie Olivia Blacket, dachte Liam Ross. Er war wirklich dankbar, dass er ihr nicht von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand.
»Wir sind befreundet. Ich habe sie auf einer Tea-Party kennen gelernt, und wir joggen beide gern frühmorgens. Du glaubst doch nicht etwa, dass sie mit dir konkurrieren kann, oder?« Er verspürte einen winzigen Gewissensbiss, beachtete ihn aber nicht weiter. »Sie hat mich gebeten, sie mit dir bekannt zu machen.«
»Und warum?«
»Sie hatte in der Zeitung über dich gelesen. Wenn sie Pläne für ein neues Buch hat, geht sie zu jedem, den sie kennt. Aus der Zeitung wusste sie, dass wir am gleichen College arbeiten. Meine Güte, Olivia, du bist bekannt wie ein bunter Hund! Jeder hat schon mal von dir gehört.«
Hatte er zu viel des Guten getan? Würde ihr zweifellos überdimensionales Ego ihm glauben?
»Nun, es sieht wirklich so aus, als hätte ich mir auch außerhalb der Universität inzwischen einen Namen gemacht.«
Sie hatte es geschluckt. »Natürlich hast du das, Olivia«, bestätigte er besänftigend. »Ich sagte ihr, ich würde versuchen, euch beide miteinander bekannt zu machen – habe ihr aber gleich klargemacht, dass du wahrscheinlich keine Zeit hättest, auf einer so oberflächlichen Ebene über die Ternan-Manuskripte zu sprechen. Doch dann hat sie dir hinter meinem Rücken geschrieben, ohne auf mich zu warten. Was hätte ich also tun sollen?«
»Ich habe ihr ebenfalls geschrieben und ein Treffen abgelehnt. Trotzdem ist sie bei mir zu Hause aufgekreuzt. Woher kannte sie meine Adresse?«
Das war das Ärgerliche an Kate: Ein Nein als Antwort ignorierte sie einfach. Vor allem in schriftlicher Form. Sie zerriss es, warf es in den Papierkorb und machte unbeirrt weiter. Gute alte Kate.
»Vielleicht hat sie sich im College erkundigt.«
»Dort hätte man ihr meine Adresse nie gegeben.«
Hätten sie doch, wenn Kate mit dem ihr eigenen Charme eine ihrer Storys zum Besten gegeben hätte.
»Vielleicht hat sie im Telefonbuch nachgesehen. Du stehst doch drin, oder?«, gab er zurück.
»Jedenfalls hat Brendan sie einfach eingeladen, ihr den Hof gemacht und ihr alles erzählt, was sie wissen wollte.«
Jetzt brauchte er nur noch mitfühlende Bemerkungen von sich zu geben. »Du weißt doch, wie Brendan ist. Er macht jedem Rock den Hof. Vor allem, wenn der Rock einigermaßen kurz ist.« Einige Minuten später versuchte er, sich
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