Morgen trauert Oxford
sich später Zutritt zu einem leer stehenden Geschäft verschafft hatte. Und jetzt stand sie hier vor dem Leicester und suchte genauso dringend wie Kate Zugang zum College. Kate wünschte, sie hätte Zeit genug, die Zusammenhänge zu ergründen. »Viel Glück!«, sagte sie aus einer plötzlichen Regung heraus und bahnte sich ihren Weg durch die Menge nach vorn.
Als sie die postierten Pförtner erreichte, lächelte sie strahlend. Selbstgefällig winkte sie mit ihrem Brief und deutete auf die Robe.
Der mittlere Pförtner, der mit dem Bierbauch, den Hängebacken und dem freundlichen Lächeln, glaubte ihr zwar offenkundig nicht, ließ sie aber dennoch durch. Ihren Anteil Mourning Ale wollte Kate auf dem Rückweg abholen. Jetzt musste sie erst einmal Olivia Blackets Büro finden.
»Ich werde von der Dozentin für Englische Literatur erwartet«, erklärte sie dem Pförtner.
»Dr. Blacket? Das Büro erreichen Sie über Treppe fünf. Überqueren Sie den Clifford-Hof, dann rechts durch den Torbogen und im New Quad die zweite Möglichkeit links. Erste Etage. Ihr Name steht an der Tür.«
Kate wandte sich nach rechts. Im Hof stellten ein paar Leute in witzigen Klamotten eine wilde Begebenheit aus dem sechzehnten Jahrhundert dar. Der Rektor des College höchstpersönlich verteilte Mourning Ale unter die Studenten. Er trug ein Paar Schuhe mit wundervollen Silberschnallen. Einige junge Leute in schwarzen Umhängen mit Spitzenkrägen sahen aus, als wollten sie gleich etwas vorsingen. Kate eilte sich, in den nächsten Hof zu kommen. Sie fürchtete, dass man von ihr erwarten könnte, eine Rolle in diesem Mummenschanz zu spielen – vielleicht eine Rede in Latein zu halten oder etwas Ekelhaftes zu essen.
Erleichtert stellte sie fest, dass der New Quad leer war. Nachdem sie sich erfolgreich ins College eingeschlichen hatte, musste sie jetzt noch einen Weg finden, in Olivias Büro zu gelangen. In einer ruhigen Ecke am Torbogen blieb sie stehen und griff in ihre Handtasche. Das Handy, das Paul ihr geschenkt hatte, war klein und leicht und passte wunderbar hinein. Am Vorabend hatte Kate einige Zeit damit verbracht, sich mit dem neuen Telefon vertraut zu machen. Sie schaltete es ein und tippte die Nummer des Leicester College in die Tastatur. Auch wenn im Clifford-Hof der fröhlichste Mittelalter-Trubel herrschte, würde es hinter den verschlossenen Fensterläden sicher noch einen normalen Menschen geben, der ans Telefon ging.
Und tatsächlich – beim dritten Klingelton meldete sich eine männliche Stimme. »Leicester College.«
»Verbinden Sie mich bitte mit Dr. Olivia Blacket«, sagte Kate mit möglichst hochnäsig klingender Akademiker-Stimme.
Sie hörte den Klingelton des Hausanschlusses – sechs Mal, zehn Mal.
»Tut mir Leid, aber Dr. Blacket scheint nicht in ihrem Büro zu sein.«
Sehr gut. Genau darauf hatte Kate gehofft.
Sie beendete den Anruf und verstaute das Handy wieder in der Handtasche. Siebzig Pence, die sich gelohnt hatten. Zwar hatte Paul sicher nicht an solche Anrufe gedacht, als er ihr das Telefon schenkte, aber er brauchte es schließlich nie zu erfahren.
Und Kate machte sich auf die Suche nach dem Treppenhaus Nummer fünf.
Angel konnte den ungeheuren Lärm und die wimmelnde Menschenmenge kaum noch ertragen. Sie hatte Kopfschmerzen. In ihrem weißen Kleid und nichts als Sandalen an den nackten Füßen fror sie entsetzlich. Sie hatte keine Ahnung, wie lange die Studenten noch herumkrakeelen und sie daran hindern würden, ins Leicester College hineinzukommen. Es wäre wirklich zu dumm, wenn sie nach all der Zeit und Mühe, die sie in ihr großes Ziel investiert hatte, durch ein merkwürdiges Ritual aufgehalten werden sollte. Sie hatte nicht übel Lust, sich hinzusetzen und hemmungslos zu weinen, doch das würde ihr sicher nicht weiterhelfen. Stark bleiben, ermahnte sie sich. Finde einen anderen Weg. Lass dich nicht so kurz vor dem Erfolg entmutigen.
Ein schwarzer Vogel schlägt mit den Flügeln gegen die Gefängnismauern meiner Stirn und hackt sich seinen Weg mitten in mein Gehirn .
Entschlossen strebte sie an der New Bodleian und der Blackwell-Buchhandlung vorbei, ohne einen Blick in die Fenster zu werfen. Erst an ihrer Einsatzstelle vor der schwarzen Tür blieb sie stehen. Die Professoren-Tür, erinnerte sie sich. Wenn sie bettelnd auf dem Bürgersteig gestanden hatte, waren ihr öfter Leute aufgefallen, die dort ein und aus gingen. Zwar stimmte es, dass sie immer einen Schlüssel benutzten, aber
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