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Morgen trauert Oxford

Morgen trauert Oxford

Titel: Morgen trauert Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
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abzeichneten, kam die Treppe hinunter. Als er Kate sah, blieb er stehen.
    Gerade wollte sie sich eine Ausrede überlegen, warum sie vor dieser Tür stand, da fiel ihr ein, dass ihre Verkleidung ihr den besten Grund lieferte. Mit großen Augen wandte sie sich dem jungen Mann zu.
    »Ist Blacket mal wieder zu spät dran?«, fragte er mitfühlend.
    Kate nickte. Je weniger sie sagte, desto weniger Fehler würden ihr unterlaufen.
    »Meistens liegt der Schlüssel oben auf dem Rahmen«, sagte er. »Gehen Sie doch einfach schon mal rein.« Mit diesen Worten polterte er die enge Treppe hinunter. Auf seinem Rücken schimmerte in silbernen Lettern das Wort »Leicester«.
    »Danke«, rief sie ihm nach.
    Vielen herzlichen Dank. Kate griff nach oben und tastete mit den Fingern über den Türrahmen. Ein Schlüssel. Wie einfach doch letztendlich alles war!
    Sie schloss auf und betrat Olivias Büro.
    Es bestand aus zwei Räumen. Genau gegenüber dem Eingang befand sich eine weitere, nur angelehnte Tür, die in ein angrenzendes Zimmer führte. Kate beschloss, im ersten Raum zu beginnen. Doch bereits beim ersten genaueren Hinsehen bemerkte sie, dass hier einzubrechen das kleinste ihrer Probleme gewesen war. Sie hatte völlig vergessen, welche Unordnung bei Olivia herrschte. Und wenn es Kate bereits beim Anblick von Olivias Privatwohnung gejuckt hatte – dieses Büro hier war zehn Mal schlimmer.
    Das Leicester College stellte den Mitgliedern seines Lehrkörpers außergewöhnlich großzügig bemessene Büros zur Verfügung, doch dieses hier war völlig unter einer Flut von Büchern und Papieren begraben. Nein, dachte Kate, während sie sich einen Weg durch das Chaos bahnte, es erinnert weniger an eine Flut als eine Vulkanlandschaft mit Schluchten und Aufwerfungen. Es war einfach unglaublich, in welch kurzer Zeit Olivia einen derartigen Effekt hatte erzielen können; hätte Kate raten müssen, hätte sie auf mindestens zwanzig Jahre getippt.
    Okay. Keine Zeit verschwenden. Wo ist der Schreibtisch? Ein Schreibtisch war in aller Regel eine quadratische oder rechteckige Erhebung etwa achtzig Zentimeter über dem Boden. Möglicherweise mit Schubladen.
    Kate fahndete noch, als das Telefon zu läuten begann.
    Sie schrak zusammen und erwog für den Bruchteil einer Sekunde, ob sie abheben sollte. Dann fiel ihr ein, dass das Telefon möglicherweise auf dem Schreibtisch stand, und folgte der Geräuschquelle.
    Das Läuten hörte auf.
    Kate hatte den Eindruck, auf eine noch nicht allzu alte Schicht Chaos gestoßen zu sein. Sie entdeckte einen Stuhl, setzte sich und nahm den Haufen Papier vor ihrer Nase in Augenschein. Zunächst legte sie zur Seite, was sie für studentische Hausarbeiten hielt. Das Protokoll einer Vorstandssitzung und eine Einladung zu einem Vortrag landeten ebenfalls auf diesem Stapel.
    Endlich stieß sie auf zwei schiefergraue, mit Gummibändern verschlossene Karteikästen, zwischen denen ein blauer Aktenordner klemmte. Kate öffnete einen der Kästen und fand darin beschriebene Blätter, die dem Manuskript von Professor Adams ausgesprochen ähnlich sahen. Es war ein dickes Bündel.
    Die Manuskripte im ersten Kasten waren oben rechts nummeriert, die im zweiten Kasten offenbar noch nicht sortiert. Der Aktenordner enthielt ebenfalls nummerierte, teils bedruckte, teils handbeschriebene Blätter, bei denen es sich vermutlich um die Transkriptionen der Briefe aus dem ersten grauen Kasten handelte.
    In Ordnung, dachte Kate, nachdem sie sich nun endgültig der Kriminalität verschrieben hatte, konnte sie ebenso gut auch ihren Nutzen daraus ziehen. Feigheit war jetzt fehl am Platz. Sie schob eine auf dem Schreibtisch liegende Puppe beiseite und blätterte den Aktenordner durch, bis sie auf Seite dreiundvierzig stieß. Die Seite, die Professor Adams »geborgt« hatte. Und dann borgte Kate ebenfalls ein wenig. Sie nahm die Seite mit der Nummer sechzehn aus dem grauen Kasten an sich und suchte anschließend die entsprechende Übersetzung in Olivias Aktenordner.
    In diesem Moment hörte sie jemanden an der Tür. Es klopfte.
    Sie schloss die Karteikästen, klemmte den Ordner dazwischen, streute irgendwelches Papier über das Ganze, schnappte sich die beiden »geliehenen« Seiten und verschwand im Hinterzimmer.
    Es war höchste Zeit. Es klopfte zum zweiten Mal. Eine Stimme rief »Olivia!«, dann wurde die Klinke heruntergedrückt. Zu ärgerlich, dachte Kate, dass sie die Tür nicht hinter sich abgeschlossen hatte. Olivia würde bei ihrer

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