Morgen trauert Oxford
weiter vorwärtszudrängen. Selbst wenn sie es schaffen könnte, bis zu den Pförtnern durchzukommen, bedeutete das noch lange nicht, dass man sie auch einließ. Pförtner verfügten über eine Menge Erfahrung darin, die unmöglichsten Forderungen redegewandter, einfallsreicher Studenten abzulehnen, und Kate war nicht einmal Mitglied des College. Mit viel Mühe schaffte sie eine Kehrtwendung in der drängenden Menge und kämpfte sich zur Parks Road zurück.
Hier draußen stand ein weiterer Pförtner und beobachtete das studentische Treiben. Er war ziemlich groß und so alt, dass er wahrscheinlich mit diesem Job seine Rente aufbesserte; trotzdem hätte er dank seiner breiten Schultern und seiner offenkundigen Kraft jemandem von Kates Format ohne Probleme den Eintritt in ein College verwehren können.
»Ich habe einen Termin bei einem Ihrer Professoren«, sagte sie zu ihm. »Gibt es eine Möglichkeit, hineinzukommen?«
»Mich wundert, dass man Ihnen überhaupt einen Termin für heute Nachmittag gegeben hat«, sagte er. »Eigentlich weiß hier jeder, dass zu Morningale keine Fremden zugelassen sind.« Er betrachtete sie. Inzwischen sah sie längst nicht mehr so adrett und präsentabel aus wie bei ihrer Ankunft am Leicester. Irgendwer hatte ihr hart auf den Spann getreten, und sie vermutete, dass ihre Strumpfhose zerrissen war. Allerdings wollte sie vermeiden, seine Aufmerksamkeit auf die Laufmasche zu ziehen, indem sie an sich hinunterblickte.
»Heute nicht«, beantwortete er schließlich ihre Frage. »Heute können Sie nur rein, wenn Sie Mitglied des Bartlemas sind.«
Schon öffnete Kate den Mund, um ihm zu erklären, dass sie genau dort herkäme, doch ehe sie eine weitere Unwahrheit vom Stapel lassen konnte, fuhr er fort:
»Außerdem müssen Sie ordentlich gekleidet sein. Akademiker-Robe«, setzte er hinzu, weil er offenbar spürte, dass sie drauf und dran war, ihm auseinander zu setzen, an der Laufmasche in ihrer Strumpfhose sei sie nicht schuld und ihr Kostüm habe eine Unmenge Geld gekostet. »Talar und Barett«, sagte er streng, »und zwar dunkel.«
Dieses blödsinnige Oxford mit seinen lächerlichen Traditionen, dachte Kate. Diese hier war zweifellos eine der undurchsichtigsten und nur dazu gedacht, Uneingeweihten das Gefühl zu vermitteln, völlig fehl am Platz zu sein. Die erste Runde hatte sie klar verloren, aber noch gab sie nicht auf. Allerdings musste sie Genaueres über den Brauch erfahren, ehe sie es erneut probierte.
Akademiker-Robe bedeutete für eine Studentin: schwarzer Rock, weiße Bluse, Krawatte, Strümpfe und Schuhe ebenfalls in Schwarz, außerdem Talar und ein Barett, das ständig getragen werden musste – so viel wusste Kate. Eigentlich war sie der Meinung gewesen, dass die große Robe heutzutage nur noch bei öffentlichen Prüfungen und ganz wichtigen Feiern in Anwesenheit des Rektors getragen wurde. Aber vielleicht gehörte diese Morningale-Farce ja dazu.
Links von Kate stand eine Gruppe Studentinnen. Die Mädchen hatten hochrote Gesichter, und ihre Haare quollen in wirren Strähnen unter den schwarzen Doktorhüten hervor, aber sie waren richtig gekleidet. Sie blickten fröhlich und selbstzufrieden drein und tranken ein bösartig aussehendes, dunkelbraunes Gebräu aus großen Gläsern. Kate trat zu ihnen.
»Könnten Sie mir vielleicht helfen?«, sprach sie die Mädchen ganz besonders freundlich an. »Ich muss unbedingt jemanden im Leicester College treffen. Aber die reden ständig etwas von Morning oder so.« Sie blickte auf die Uhr. »Morning heißt Morgen, aber es ist gleich halb drei nachmittags. Doch wie ich Oxford kenne, gibt es dafür eine Erklärung. Vielleicht ein besonderer Kalender?«
»Nicht Morning wie Morgen«, antwortete eine Studentin. »Es heißt Mourning. Mit U. Das bedeutet Trauer.«
»Aha«, meinte Kate, »könnten Sie mir vielleicht auch erklären, worum es geht?«
Eine rothaarige Studentin, die gerade ihr Glas geleert hatte und daher noch ein wenig fröhlicher war als die anderen, begann zu dozieren: »Getrauert wird um einen Studenten des Bartlemas College. Auf dem Rückweg zu seinem College wurde er verfolgt, und zwar über die Magdalen Bridge, die High Street hinauf bis zur Turl Street, dann weiter durch die Allhallowes Street und Catte Street. Mit letzter Kraft schaffte er es gerade noch bis zum Tor des Leicester College, das ihm aber verschlossen blieb, obwohl er wie ein Wilder mit dem Metallknauf gegen die Tür hämmerte.«
»Pech«, sagte Kate. »Und
Weitere Kostenlose Bücher