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Morgen trauert Oxford

Morgen trauert Oxford

Titel: Morgen trauert Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
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wird sie es für immer tragen .
    Die Lilien in ihrer dunkelblauen Vase auf dem Tisch am Fenster – sie leben . Sie leben wie aufgedunsene , weiße Tiere , die ihren Duft ausatmen und mein Zimmer mit Erinnerungen füllen .
    Sicher hat man Lilien auf ihren Sarg gelegt – oder etwa nicht? Große weiße Königslilien . Vielleicht aber auch Maiglöckchen , wer weiß . Mich erhielten sie am Leben; ahnungslos ließen sie mich schlafen .
    Sie gehören verscharrt . Tief verscharrt . Für immer vergessen .

    »Was machst du da?«, fragte Coffin.
    »Nichts. Ich lese ein bisschen«, antwortete Angel.
    »Sieht aus, wie mit der Hand geschrieben«, meinte Coffin. »Hast du das geschrieben?«
    »Keine Ahnung«, sagte Angel. »Vielleicht. Ich versuche gerade, einen Sinn dahinter zu entdecken. Aber es geht nicht.«
    »Dann lass es doch sein«, erklärte Coffin. »Es macht dich nur unglücklich. Lebe doch einfach mit uns in der Gegenwart und denke vielleicht ab und zu an die Zukunft. Du musst versuchen, alles loszuwerden, was dich zurückhält.«
    »Ich glaube kaum, dass ich es loswerden kann, solange ich es nicht verstehe. Man kann nicht vorwärts gehen, wenn man nicht weiß, was vorher war. Man steckt in einer ständig andauernden Gegenwart fest.«
    Coffin schüttelte den Kopf, suchte eine Flöte aus und spielte eine muntere Weise für sie. Angel klappte das Notizbuch zu und verstaute es in ihrer Tasche.

    Ant ging so methodisch vor wie immer. Die solide Hintertür verfügte über ein ebenso solides Schloss. Die Terrassentüren waren aus dickem Glas und verriegelt. Einzig die Küche schien zugänglicher zu sein, denn sie ragte wie ein rechteckiger – wahrscheinlich später an das Haus angebauter – Daumen in den Garten und hatte ein Flachdach. Und über diesem Flachdach entdeckte Ant ein vermutlich zu einem Badezimmer gehörendes Milchglasfenster, dessen oberer Teil einen Spalt geöffnet war. Die Öffnung bot kaum Platz genug, um ins Haus zu kommen, doch Ant war dünn, und wenn seine Schultern hindurchpassten, würde der Rest auch nachkommen.
    »Los, Ant, rein mit dir! Da drin ist es sicherer als hier draußen.« Ant hatte herausgefunden, dass man sich zu fast allem bringen konnte, wenn man laut mit sich selbst sprach.
    Es war nicht besonders schwer, das Dach zu erklimmen, die obere Hälfte des Fensters gewaltsam zu öffnen und sich hineinzuschlängeln. Wie ein Aal, dachte Ant und lachte ein wenig verunsichert. Inzwischen stand ihm wirklich der kalte Schweiß auf der Stirn, denn das ganze Unternehmen hatte deutlich länger gedauert, als ihm lieb gewesen war. Kopfüber landete er zwischen Toilette und Badewanne, aber außer einer Schramme an der Schulter blieb er heil. Endlich war er im Haus. Allmählich verebbte der Adrenalinstoß. Ant rappelte sich auf, erschnüffelte einen leichten Schimmelgeruch, runzelte beim Anblick eines deutlichen Schmutzrings in der Wanne die Stirn und gönnte einer traurig vor sich hin dörrenden Grünlilie ein Zahnputzglas voll Wasser.
    »Kopf hoch«, sagte er zu der Pflanze, »wachse und gedeihe, denn demnächst wird sich eine neue Familie um dich kümmern.«
    Er benutzte die Toilette und betätigte die Wasserspülung. Und jetzt ans Werk, befahl er sich und nahm die nach dem gelungenen Eindringen zweitwichtigste Sache in Angriff: seinen Rückzug zu sichern. Vermutlich hatte der Hausbesitzer seine Schlüssel mitgenommen, aber Ant war fast sicher, dass sich irgendwo im Haus noch Ersatzschlüssel befanden. Doch wo mochten sie versteckt sein?
    Die Frage war schnell beantwortet. Alle Ersatzschlüssel hingen an einem Schlüsselbrett neben der Hintertür und waren ordentlich beschriftet – Haustür, Fenster, Terrasse, Hintertür. Ant entriegelte die Hintertür und probierte den mit »Hintertür« beschrifteten Schlüssel aus. Er funktionierte. Ant steckte ihn in die Tasche für den Fall, dass er schleunigst verschwinden musste, und machte sich daran, den Rest des Hauses zu erkunden. Er musste sicherstellen, dass ihr vorläufiges Domizil noch mindestens so lange leer stehen würde, wie Gren brauchte, um einen fahrbaren Untersatz zu besorgen und auf Vordermann zu bringen. Erst dann konnten sie die Weiterreise ins Auge fassen.

    Die Frau trat aus dem Haus und ging zu ihrem Wagen. Auf ihrem Gesicht lag ein entschlossener Ausdruck, als würde sie zu einer langen, anstrengenden Reise aufbrechen oder wäre im Begriff, ein Verbrechen zu begehen.
    Sie fuhr ins Stadtzentrum von Oxford, bog in Richtung Botley ab und

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