Morgen trauert Oxford
Schauspielerin? Darüber gibt es ein tolles Buch von …«
»Weiß ich. Habe ich längst gelesen. Ich dachte eher an etwas bisher Unveröffentlichtes.«
»Aha! Du hast also die Schlagzeile heute gelesen!«
»Welche Schlagzeile?«
» Sensationelle Entdeckung in Oxford .«
»Klingt ganz nach meinem intellektuellen Niveau.«
»Die Zeitung hat Wind davon bekommen, dass eine Dozentin für englische Literatur eine Sammlung von Tagebüchern und Briefen bearbeitet. Man hat die Manuskripte kürzlich in der Bibliothek des Bartlemas College gefunden. Die Papiere stammen aus dem Nachlass von Nelly Ternans Schwester Maria. Ich nehme an, dir ist längst bekannt, dass sie hier in Oxford mit einem Bierbrauer verheiratet war und in der Banbury Road wohnte.« Wenn es nicht gerade um harte Rockmusik ging, fand Andrew schnell zu seinem angestammten Selbstvertrauen zurück.
»An Maria bin ich ausgesprochen interessiert«, erklärte Kate. »Eine Frau ganz nach meinem Geschmack.«
»Künstlerische Ader, unabhängig, Schriftstellerin. Ich kann mir denken, dass sie dir gefällt. Mir wäre das alles zu unruhig.« Andrew liebte sein ruhiges, vorhersehbares Leben, das er sich nicht von den Ansprüchen einer kapriziösen Frau diktieren lassen wollte. Noch nicht einmal von einem Fan der Swervies. Kate glaubte kaum, dass Isabel nach diesem jüngsten Vorfall noch viele Chancen bei Andrew hatte.
»Was meinst du, wie könnte ich vorgehen, damit ich einen Zugriff auf dieses Material erhalte?«, erkundigte sie sich.
»Die Frage ist, ob man dich lässt. Warum schreibst du nicht einfach an die Dozentin? Vielleicht gestattet sie dir, ihr bei der Arbeit über die Schulter zu blicken. Allerdings würde ich nicht darauf wetten.«
»Gute Idee. Weißt du, wie die Frau heißt und in welchem College sie arbeitet?«
»Leider habe ich die Zeitung inzwischen entsorgt. Aber ich könnte es sicher für dich herausfinden. Ich melde mich wieder.«
Es war immerhin ein Anfang.
Die Frau griff nach dem Blatt und las.
Was hast du mit dem Kind gemacht? Du weißt , dass ich es genommen und wie mein eigenes aufgezogen hätte . Niemand hätte je erfahren , dass es nicht mein leibliches Kind ist . Konntest du mir nicht vertrauen? Sag mir , was hast du mit dem Kind gemacht?
Sie las den Text noch einmal und änderte etwas an der Interpunktion. Ja, jetzt war es richtig. Mit der Schrift nach unten legte sie es auf einen Stapel ähnlicher Blätter und nahm sich das nächste vor. Sie begann, auf die Schreibtischunterlage zu schreiben, schüttelte verwirrt ihren Stift und begann von neuem.
Nachdem sie weitere zwanzig Minuten gearbeitet hatte, legte sie das Manuskript zur Seite, stand auf, holte ihre Jacke und griff nach ihrer Handtasche und den Schlüsseln.
Ant ging den Hügel hinunter. Seine dünnen Beine in den schwarzen Jeans bewegten sich rasch in Richtung Stadt. Bei der ersten Möglichkeit bog er links ab, doch erst nachdem er aus dem Blickfeld der Familie verschwunden war, gestattete er sich, ein wenig langsamer zu laufen. Er zog die Schultern hoch und knurrte vor sich hin: »Scheiß-Lieferwagen. Scheiß-Stadt. Scheiß-Typen.« Dann grinste er. »Wie sagt man, Ant?«
»Verzeihung, Ant.« Ein winzig kleiner Anflug von Rebellion. Einmal durfte er sich das erlauben, doch dann musste auch er sich wieder den Regeln unterwerfen. Wenn die anderen ihm gehorchen sollten, hatte er mit gutem Beispiel voranzugehen.
Trotzdem war es angenehm, die Familie für eine Weile los zu sein. Angenehm, wenigstens für kurze Zeit nicht die Verantwortung für ihr Überleben übernehmen zu müssen. Jeder von ihnen wusste, dass Gesetze notwendig waren und befolgt werden mussten, wenn man in einer funktionierenden Gemeinschaft leben wollte. Und genau diese Disziplin unterschied sie von anderem fahrenden Volk. Keine Rasta-Frisuren!, hatte er ihnen befohlen. Keine Hunde! Kein Alkohol und keine Prügelei! Keine Frauen, zumindest jetzt noch nicht! Und natürlich keine Drogen! Auf diese Vorschrift hatte Coffin ein wenig säuerlich reagiert, und Ant hatte ihn auch schon ein paar Mal mit einem Joint erwischt. Aber meistens gehorchten sie, denn sie wollten Mitglieder von Ants Familie bleiben. Wenn man nämlich zu Ant gehörte, brauchte man nicht zu befürchten, eines Tages in einem Pappkarton schlafen zu müssen. Ant hatte sogar versucht, eine Art gruppeninterner Sprache zu entwickeln – etwas, das sie von anderen unterschied und ihnen eine eigene Identität verleihen sollte. Doch obwohl Dime
Weitere Kostenlose Bücher