Morgen trauert Oxford
folgte der breiten, eintönigen Straße bis zu einem Einkaufszentrum, dessen Betongebäude eher wie Lagerhäuser wirkten. Sie stellte das Auto auf einem endlos großen Parkplatz ab, ließ das Lenkradschloss einrasten und stieg aus.
Unmittelbar vor ihr schubste eine ausgemergelte junge Frau einen Kinderwagen mit einem Säugling sowie ein etwas älteres Kind mit einem heißen, roten Gesichtchen und wunden Lippen durch die Tür in das Geschäft. Natürlich gab es hier Verkaufspersonal und sicher auch noch weitere Kunden. Doch die Frau hatte nur Augen für die hohen, weiten, mit allerlei in Plastik verpacktem Spielzeug gefüllten Gänge. Sie begann nach dem zu suchen, was sie haben wollte, und ging bis ans Ende des wie ein Hangar wirkenden Verkaufsraums.
Puppen. Süße Puppen, schwarze Puppen, politisch korrekte Puppen mit diskret angedeuteten Geschlechtsteilen. Sie ging an allen vorüber und blieb erst bei den altmodischen Puppen mit ihren realistisch gestalteten Gesichtern und weichen, schmiegsamen Körpern stehen. Baby-Puppen. Eine Baby-Puppe lag in ihrer blauseidenen Schachtel mit geschlossenen Augen und lockeren Gliedmaßen auf der Seite. Schlief sie oder war sie tot? Die Frau ging weiter.
Ein mit Stickerei verziertes, weißes Häubchen, rundliche, rote Wangen und Augen in dem unspezifischen Blau, das allen Säuglingen eigen ist – das wusste sie aus ihren Beobachtungen der Kinderwagen anderer Frauen. Das war ihre Puppe. Sie erkannte sie sofort. Ein helles Gesicht, dünnes blondes Haar, rundlich gedrungene Gliedmaßen und weiche Lederschühchen. Sie nahm die Puppe so vorsichtig aus dem Regal, als wäre sie ein echtes Baby, und wiegte sie in ihren Armen; selbst das Gewicht war ihr vertraut. Sie könnte sie unter ihrer Jacke verstecken und einfach zwischen den Kassen hindurch zu ihrem Wagen gehen. Sie könnte den schmiegsamen Körper wiegen und ihr etwas vorsingen, bis sie ihre blauen Augen schließen und an ihre Schulter gelehnt einschlafen würde. Sie könnte sagen, dass sie ihr Eigentum sei. Und für etwas, das ihr immer schon gehört hatte, brauchte sie nicht zu bezahlen. Tafeln über ihrem Kopf verkündeten, dass das Geschäft videoüberwacht wurde und die Ware elektronisch gesichert war. Was man nicht alles zu deinem Schutz unternimmt, raunte sie dem Baby zu und legte es in seine Schachtel zurück. Sie ging zur Kasse.
»Wie wollen Sie bezahlen?«, fragte der Kassierer. Argwöhnisch beobachtete er das ungezogene Kleinkind, das eine Spielzeugverpackung aufriss.
Die Frau zögerte mit der Antwort. »Bar. Vielen Dank.« Sie reichte dem Kassierer einige Zehn-Pfund-Noten. Dann stand sie da und starrte in die graue Anonymität der Straße hinaus, bis man ihr die Schachtel verpackt übergab.
Vorsichtig trug sie die weiße Schachtel hinaus. Auf keinen Fall wollte sie die Puppe falsch herum halten oder mit dem Gesicht nach unten drehen. Sie stellte die Schachtel auf den Rücksitz und sicherte sie mit dem Sicherheitsgurt, damit sie nicht herunterfiel, falls sie eine Kurve zu schnell nehmen sollte. Und so vorsichtig, als hätte sie ein lebendiges Baby an Bord, fuhr sie zurück nach Hause.
Als sie durch die Innenstadt von Oxford kam, begann gerade die erste Glocke zu läuten. Der Klang verfolgte sie durch die ganze Stadt. Überall zogen College-Pförtner an Stricken; mechanische Klöppel trafen auf Bronze. Die Frau hoffte inständig, dass es bald vorüber war.
»Es hört sich an wie bei einer Beerdigung«, sagte sie zu dem Baby in der Schachtel. »Das ist nicht gut. Sie sollten ein neues Leben willkommen heißen und nicht den Toten Lebewohl sagen.«
Drinnen im Haus nahm sie die Puppe aus der Schachtel, strich mit dem Finger über ihren kühlen Nacken, schmiegte den weichen Körper an ihre Schulter und gurrte leise. Mit dem Baby auf dem Arm stieg sie die Treppe zu ihrem Schlafzimmer hinauf. Sie öffnete einen Schrank. Zehn weitere Babypuppen saßen im Dämmerlicht auf Regalen, sahen sie an und streckten ihre steifen Händchen flehend nach ihr aus. Jede von ihnen trug ein weißes Häubchen, jede von ihnen starrte sie aus babyblauen Augen an.
»Da wären wir«, sagte sie zu der Neuerwerbung. »Hier bist du sicher.« Mit diesen Worten setzte sie sie zu den anderen Puppen. Dann streichelte sie jeder einzelnen Puppe über das starre Gesicht und sprach jede an.
»Ich wollte dich nicht verlieren. Es war nicht meine Schuld. Aber jetzt passe ich auf dich auf. Ich sorge für dich, das verspreche ich dir.« So ging sie die
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