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Morgen trauert Oxford

Morgen trauert Oxford

Titel: Morgen trauert Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
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es zeigte einen deutlichen grau-violetten Stich.
    »Wir haben sie extra für dich gekauft«, sagte er. »Sie ist wirklich gut. Versprochen. Und jetzt iss!« Seinen Worten nach zu schließen schien manches, was er anbot, nicht unbedingt gut zu sein. Etwa unbekömmlich? Oder gar vergiftet? Angel wünschte, der Sprecher würde hinter der rot-weiß karierten Schulter des ersten Mannes hervortreten, damit sie ihn richtig sehen konnte. Nichts in ihrer Welt war vollständig; ihren runden Hügel kannte sie nur als rechteckigen Ausschnitt, einer der Männer bestand lediglich aus einer Hand, einem Gesicht und einer Stimme, der andere blieb für sie der über eine Schulter sichtbare Teil eines Gesichtes. Sie legte die Hände flach neben die Hüften und versuchte, sich vom Bett abzudrücken. Zwar tat es nicht mehr ganz so weh, aber sie war noch immer zu schwach, um sich aufzusetzen. Ihre Arme schienen über keinerlei Muskulatur mehr zu verfügen. Sie stemmte sich auf die Fersen, scharrte mit den Füßen und vollführte Schlängelbewegungen mit dem Oberkörper. Schließlich gelang es ihr, sich einige Zentimeter hochzuarbeiten. Als sie nach vorn zu kippen drohte, stopfte ihr eine dritte, völlig unsichtbare Person etwas hinter den Rücken. Kissen? Decken? Jedenfalls konnte sie aus der halb sitzenden Position heraus ihr Gesicht dem Stück Pizza nähern, den Mund öffnen und sogar abbeißen, als man es ihr noch ein wenig dichter vor die Nase hielt. Pizza. Sie musste versuchen, sich an den Geschmack zu erinnern. Hätte man sie gefragt, und ihr nicht vorher schon verraten, was sie da aß, hätte sie wahrscheinlich auf ein Stück Pappe mit einem weichen, willkürlich zusammengewürfelten Belag getippt. Sie kaute und kaute. Irgendwann befand sich nur noch Brei in ihrem Mund, und ihr wurde klar, dass sie sich nun entweder der enormen Anstrengung des Schluckens unterziehen oder aber die Pampe ausspucken musste. Die Männer, wer auch immer sie sein mochten und wie viele es auch waren, würden die zweite Möglichkeit allerdings wahrscheinlich nicht unbedingt gutheißen, nachdem sie sich so viel Mühe mit ihr gegeben hatten. Also schluckte sie.
    »Gib ihr Wasser zu trinken«, sagte der zweite Mann. Er hatte sich weiter in den Schatten zurückgezogen. Obwohl sie inzwischen fast saß, sah sie nur noch einen dunklen Umriss, dessen T-Shirt und Gesicht etwas heller hervortraten. Der Mann schien das Sagen zu haben.
    Der Becher war aus Plastik, das Wasser sehr kalt und ausgesprochen wohlschmeckend. Nicht wie das beißende Zeug, das im Themse-Tal aus den Wasserhähnen kam. Sie schluckte erneut. Dieses Mal fiel es ihr leichter.
    »Lass sie schlafen«, sagte Nummer zwei. »Wenn sie das nächste Mal wach wird, erfahren wir vielleicht mehr über sie.« Nummer drei, der für sie nur als ein Paar schmaler, blasser, aus dunkelroten Sweatshirt-Ärmeln wachsender Hände existierte, nahm die Kissen hinter ihrem Rücken fort und half ihr, sich flach unter die rauen Decken gleiten zu lassen.
    »Wie heißt ihr?«, fragte sie, als sie hörte, dass die drei zur Tür gingen. »Sagt mir eure Namen.« Namen waren wie Haken, an die man Erfahrungen hängen konnte.
    »Später«, versprach Nummer zwei. »Wir sagen sie dir später.«
    Sie schloss die Augen, lauschte dem leisen Schlurfen, mit dem sie das Zimmer verließen und dem Klicken der ins Schloss fallenden Tür.
    Und dann lag sie im Dunkel ihrer geschlossenen Augenlider und hörte Coffin zu, der auf einer seiner Flöten spielte.

    Wahrscheinlich ist es früh am Morgen, als sie das nächste Mal wach wird. Das Zimmer wirkt farblos und öde wie ein Grab. Die Bäume draußen vor dem Fenster zeigen frisches junges Grün. Eigentlich müsste Winter sein. Die Bäume müssten kahl und schwarz, der Hügel braun und mit Schneeresten bedeckt und der Himmel grau verhangen sein. Warum sprüht die Welt vor dem Fenster vor Leben? Ein vor witziger Vogel trällert ein fröhliches Lied. Sollte die Natur nicht lieber ihre Trauer widerspiegeln, anstatt sich über sie lustig zu machen? Die fetten, heiteren Kühe rupfen weiter Gras.

    Zwischen Haus und Hügel wehte ein Vorhang aus feinem Regen. Die grüne Farbe war verblichen. Auf der Kuppe hingen Wolkenfetzen wie das dünne, weiße Haar auf dem Kopf einer alten Frau und verbargen die Bäume. Wenn sie lange genug die Kühe auf der Wiese anstarrte und dann die Augen schloss, sah sie alles in umgekehrten Farben. Roter Hügel mit grauen und weißen Kühen. Schnell öffnete sie die Augen

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