Morgen trauert Oxford
»Sie hat mir erzählt, dass Sie jeden Tag für sie gespielt haben, als sie krank war.«
»Musik ist die Nahrung der Liebe«, sagte Coffin knapp und begann, »The Lark in the Clear Air« zu spielen.
»Und Sie?« Dieses Mal blickte sie Gren an. »Lieben Sie sie auch?«
»Was soll das für eine Frage sein?«
»Ich habe mir überlegt, wie Angel sich fühlen mag«, antwortete Kate. »Zu viel Liebe und Mitgefühl kann einen nämlich ganz schön überrumpeln.«
»Sie haben doch nicht die geringste Ahnung«, knurrte Gren.
Da mag er weiß Gott Recht haben, dachte Kate. Ich brauche mir bloß die Liste meiner Verflossenen vor Augen zu führen … Und sie schwieg, bis Dime mit Angel zurückkehrte.
Als die junge Frau ankam, umringten die Männer sie sofort. Kate war sich darüber im Klaren, dass sie ihre Fragen sehr vorsichtig stellen musste; wenn sie nicht aufpasste, würde man Angel wahrscheinlich umgehend wieder wegbringen und vor ihr verstecken.
»Hallo Angel«, begann sie. Dagegen war sicher nichts einzuwenden.
»Hallo Kate. Tut mir Leid, dass ich heute Morgen einfach gegangen bin, ohne mich zu verabschieden. Aber ich habe diesen Mann in der Küche gehört und wollte lieber verschwinden.«
»Schon gut. Es hatte nichts mit dir zu tun«, beruhigte Kate und ging dabei instinktiv zur vertrauteren Anrede über. »Er ist ein Freund von mir und wollte mich warnen, dass ich in Gefahr bin.« Sie betrachtete die Gesichter der jungen Männer. Wahrscheinlich befand sie sich hier in weitaus größerer Gefahr – zumindest, wenn die Familie auf die Idee kam, dass sie eine Bedrohung für Angel darstellen könnte.
»Ich nehme an, du willst mich fragen, was vorgestern geschehen ist.« Angel spielte das Gute-Freundin-Spiel mit.
»Einer meiner Freunde ist in die Angelegenheit verwickelt und wird möglicherweise des Mordes angeklagt. Ich wüsste gern, was du gesehen hast – vielleicht klärt sich dann einiges auf.«
»Der Georg, der Georg macht gern einen Scherz«, sagte Coffin.
»Erst küsst er die Mädchen, dann bricht er ihr Herz«, vollendete Kate. »Genau so ist es, Coffin.« Es war beruhigend, mit Coffin zu reden. Man brauchte nicht lang über Worte nachzudenken. Man zitierte einfach einen Kinderreim, der zur Situation passte. Ringel, ringel, Rose …
»Ich habe versucht, durch den Haupteingang zu gehen, aber da waren viel zu viele Leute. Ich kam nicht durch. Also benutzte ich die andere Tür«, erzählte Angel. »Ich habe gewartet, bis jemand kam, und schlüpfte hinter ihm hindurch, ehe die Tür wieder ins Schloss fiel.«
In diesem Augenblick wurde Kate bewusst, dass im Grunde genommen jeder auf diese Weise ins College hätte gelangen können. Wahrscheinlich hatte keiner der Professoren große Lust gehabt, sich durch die für das Mourning Ale anstehende Menschenmenge zu kämpfen, und stattdessen lieber den dem Lehrkörper vorbehaltenen Eingang in der Broad Street benutzt. Vermutlich war diese Tür am Tag des Mordes weitaus häufiger aufgeschlossen worden als sonst üblich. Und wem wäre im Trubel schon aufgefallen, wenn sich im Windschatten eines Institutsangehörigen ein Fremder auf das Gelände schlich?
»Weiter«, forderte Ant die junge Frau auf. »Was ist dann passiert?«
»Ich brauchte einige Zeit, bis ich Olivia Blackets Büro fand«, sagte Angel. Sie strich sich die Haare aus der Stirn, sodass alle ihr Gesicht sehen konnten, auf dem ein angespannter Ausdruck lag. »Ich wagte nicht, nach dem Weg zu fragen, weil dann vielleicht jemand hätte wissen wollen, wer ich bin und was ich im College zu suchen habe.«
»Nach meiner Erfahrung«, warf Kate ein, »hätte man dich wahrscheinlich bei der Hand genommen, dich bis zu ihrer Tür geführt und dir gezeigt, wie sie zu öffnen ist, falls sie zufällig verschlossen sein sollte. Wenn du einmal in einem dieser Colleges drin bist, sind die Leute ausgesprochen vertrauensselig.« Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie Angel durch Höfe geschlichen war, mit dem Schatten von Torbögen oder Fluren verschmolz und so lange wartete, bis niemand mehr zu sehen war, ehe sie sich traute, Ausschau nach dem richtigen Treppenaufgang zu halten.
»Aber du hast es schließlich doch gefunden.«
»Ja, ich fand die Treppe und dann auch die Tür mit ihrem Namensschild. Dr. O. R. Blacket. Die Tür stand offen, aber das Büro war offensichtlich leer. Also ging ich hinein.« Angels Augen weiteten sich. »Und da entdeckte ich den Hund.«
»Ludo«, sagte Kate. »Der Höllenhund.«
»Er
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