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Morgen trauert Oxford

Morgen trauert Oxford

Titel: Morgen trauert Oxford Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Stallwood
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befinden.«
    Kate reichte ihm die drei Blätter. Wie wichtig mochten sie ihm sein? Er riss sie ihr geradezu aus der Hand. Waren sie etwa wichtig genug, um dafür einen Mord zu begehen? Kate trennte sich nicht gern von den Papieren, aber sie wusste, dass sie keinerlei Recht darauf hatte. Außerdem hatte sie sie fotokopiert, konnte also jederzeit darin lesen, wenn sie es für nötig erachtete. Sie sah Brendan nach. Er ging in ein Zimmer – vermutlich sein Arbeitszimmer – und verstaute die drei Blätter in einem dicken Aktenordner auf dem Schreibtisch. Einen Moment lang fragte sich Kate, welches Recht der Professor an dem Manuskript hatte, denn schließlich hatte Olivia es vom Bartlemas College mitgebracht. Doch er vermittelte den Eindruck so großer Selbstverständlichkeit, dass es ihr wohl kaum zukam, sich mit ihm darüber auseinander zu setzen. Trotzdem: Das Ternan-Manuskript verfügte sicherlich auch außerhalb der akademisch geprägten Welt über einen gewissen Wert und konnte seinem Besitzer zu Ruhm und Reichtum verhelfen.
    Brendan führte sie in einen mit wunderschönen Objekten angefüllten Raum. Auf jedem freien Platz an der Wand hing ein Gemälde. Kleine und weniger kleine Skulpturen standen auf hübschen Tischen aus Obstbaumholz. Die Teppiche stammten aus dem Orient, und die Bücherregale waren angefüllt mit gebundenen Ausgaben. Brendan Adams und seine Schwester schienen einen sicheren Geschmack für teure Dinge zu haben. Ob das Gehalt eines Professors für einen so exklusiven Geschmack wohl reichte?
    Er ließ sie in einem tiefen Sessel auf der am weitesten von der Tür entfernten Seite des Zimmers Platz nehmen und setzte sich ihr gegenüber auf ein Sofa. Irgendwo hatte sie gelesen, man solle sich so nah wie möglich an die Tür setzen, wenn man sich der Person, bei der man sich aufhielt, nicht ganz sicher war. Sie hatte einen Fehler gemacht. Und jetzt saß sie ausgerechnet im Visier eines Mannes, der unmittelbar vor dem Mord im Zimmer des Opfers gewesen war.
    Warum hatte sie nicht daran gedacht, bevor sie sich in diese Situation manövriert hatte? Der niedrige, weiche Sessel hielt sie fest. Nie und nimmer könnte sie mit einem Satz aufspringen und zur Tür laufen, falls Gefahr im Verzug war. Nein, jetzt machte sie sich lächerlich. Höchste Zeit, das Thema zur Sprache zu bringen, dessentwegen sie gekommen war. Angel. Die Familie. Liam. Alle waren verdächtig. Und sie saß hier mit einem ebenfalls Verdächtigen: dem Professor.
    »Ich muss ständig an Olivia denken«, begann sie vorsichtig. »Vielleicht liegt es daran, dass ich ausgerechnet zum Tatzeitpunkt im Leicester College war.«
    »Hat die Polizei Sie schon verhört?«
    »Noch nicht. Ich muss zugeben, dass meine Anwesenheit im College ein wenig …«
    »… unorthodox war, nehme ich an.«
    »Richtig. Haben Sie es der Polizei schon erzählt?«
    »Mir war entfallen, dass ich Sie dort gesehen hatte – bis Sie heute Morgen anriefen. Seither habe ich noch nicht wieder mit der Polizei gesprochen. Für Sie, Kate, würde es sicher besser aussehen, wenn Sie sich freiwillig zu einer Aussage meldeten, und zwar bevor ich die Information weitergebe, finden Sie nicht?«
    »Wahrscheinlich haben Sie Recht. Ich werde unmittelbar nach meinem Besuch bei Ihnen aufs Revier fahren.« Der nächste Streit mit Paul war vorprogrammiert. Warum hatte sie ihm nichts gesagt? Natürlich hätte sie es tun sollen, aber es gab so viel zu erklären: das Mourning Ale, der Talar, der Doktorhut, der Brief vom Studienleiter … ganz zu schweigen von der Art, wie sie in Olivias Büro eingedrungen war und ihren Streit mit Liam belauscht hatte. Morgen. Sie würde ihr Geständnis auf morgen verschieben. Und dann erinnerte sie sich dunkel, dass sie sich gestern bereits das Gleiche vorgenommen hatte. Aber Paul hatte auch wirklich immer Schwierigkeiten, ihren Standpunkt zu verstehen, wenn es sich um eines ihrer amüsanten, kleinen Täuschungsmanöver handelte. Da lag eben das Problem mit der Polizei – man besaß dort einfach keinen Sinn für Humor!
    »Wollten Sie über etwas Spezielles mit mir sprechen oder nur über Olivia im Allgemeinen?«, drang die Stimme des Professors zu ihr durch.
    Kate beschloss, ehrlich zu sein. »Ich nehme an, Sie haben gehört, dass Liam Ross von den Ermittlern verhört wird. Vermutlich ist er im Augenblick der Hauptverdächtige.«
    »Er und Olivia kannten sich seit vielen Jahren. Soviel ich weiß, sind sie sich in Edinburgh begegnet und waren seither mal mehr, mal

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