Morgen trauert Oxford
andererseits Angel mit ihrer persönlichen Tragödie und ihrem Gedächtnisverlust. Aber Angel wusste, was am fraglichen Nachmittag geschehen war. Kate hatte es ihr ansehen können, genau wie den jungen Männern. Mindestens einer von ihnen wusste ganz genau, wer Olivia ermordet hatte. Liam hätte den Mord verhindern können, wenn er gekommen wäre, als Olivia um seine Hilfe bat. Aber das war etwas ganz anderes, als ihren Kopf mit Hammerschlägen zu bearbeiten. Kate fuhr an den Straßenrand und schloss die Augen.
Sie musste sich zwischen Liam und Angel entscheiden. Und sie traf ihre Wahl.
In ihrer Handtasche befand sich immer noch das Handy, und Pauls Nummer war einprogrammiert. Sie drückte die entsprechende Taste und lauschte dem Klingelton.
»Paul Taylor.«
»Hier ist Kate.« Sie schaffte es nicht, eine gewisse Schärfe in ihrer Stimme zu unterdrücken. Ihm ihre Gefühle enthüllen? Unmöglich! Dabei war Paul einer der ganz wenigen Menschen, denen sie bedingungslos vertraute, obwohl er sie manchmal schrecklich irritierte. Aber das würde sie ihm niemals sagen können. »Dieses Gespräch kostet mich siebzig Pence die Minute – an Ihrer Stelle würde ich jetzt gut zuhören und vielleicht sogar ein paar Notizen machen. Ich habe gerade im Radio gehört, dass Liam auf dem Revier vernommen wird. Wahrscheinlich sind Sie und Ihre Freunde der Meinung, dass der Scheißkerl Olivia auf dem Gewissen hat, und ich würde dem nur allzu gern zustimmen – aber er war es nicht. Ich glaube, ich weiß, wer es getan hat. Also ganz genau vielleicht nicht, aber es muss einer von vier Leuten gewesen sein. Oder von fünfen.«
»Und was ist das für eine Gruppe von vier oder fünf Leuten?«
»Sie nennen sich Familie. Sie sind keine wirkliche, keine biologische Familie, aber sie leben alle fünf zusammen und kümmern sich umeinander.« Sie fand ihre Erklärung nicht besonders gelungen und konnte geradezu fühlen, wie Paul sich ärgerte.
»Ich habe mich mit dieser Gruppe unterhalten – es muss einer von ihnen gewesen sein.« Es knisterte in der Leitung. Konnte er sie überhaupt noch hören? Verdammt, wie erklärte man Angel und die Familie einem hochnäsigen Polizisten? »Im Prinzip leben sie auf der Straße.« Ein weiterer Versuch. »Nein, eigentlich leben sie nicht auf der Straße, sondern sind eine Art Hausbesetzer. Ladenbesetzer. Geschäftsleute, aber von der anderen Straßenseite.«
»Ich glaube, ich verstehe, worauf Sie hinauswollen. Ich kenne diese Art Leute.«
Na, Gott sei Dank. Viel mehr hätte sie nicht zu seinem Verständnis beitragen können. »Eine Familienangehörige namens Angel ist eigens nach Oxford gekommen, um Olivia Blacket zu ermorden.« Meine Güte, das klang ja vielleicht melodramatisch! Paul würde ihre Ausdrucksweise ganz bestimmt nicht gutheißen. »Als sie aber Olivia schließlich gegenüberstand, konnte sie es nicht übers Herz bringen. Sie hat sie nicht getötet. Ich glaube aber, dass es einer von den anderen getan hat und dass Angel weiß, wer es war.«
»Verstehe.« Ihre Ausführungen mussten klarer geklungen haben, als sie selbst den Eindruck hatte. »Geben Sie mir doch bitte die Adresse dieser Angel und ihrer Freunde. Ich schicke eine nette, sanfte Polizistin hin, die ihnen vorsichtig auf den Zahn fühlt.«
»Tja, ich weiß nicht so ganz genau, wo sie wohnt. Es muss in Ost-Oxford sein. Die Hausnummer lautet entweder fünfundzwanzig oder zweiundfünfzig. Und der Straßenname beginnt mit einem D. Vielleicht endet er auch mit einem D. Das Haus gehört vermutlich jemandem, der gerade für ein paar Wochen verreist ist.«
Kate vernahm einen Seufzer am anderen Ende der Leitung, aber Paul schimpfte nicht. »Ich werde mich bemühen, die Adresse herauszubekommen. Kennen Sie vielleicht die Namen der Leute? Ihre richtigen Namen, meine ich.«
»Nein. Ich weiß nur, dass Angel eine Tochter namens Daisy hatte, die Anfang des Jahres bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, und zwar möglicherweise in London.«
»Gut, das ist immerhin besser als gar nichts. Wissen Sie, von welchem Geschäft aus sie Handel treiben?«
»Den Namen kenne ich nicht, aber es liegt neben dem Kino in der George Street.«
»Wahrscheinlich sind sie längst aus dem Laden verschwunden, zumal sie annehmen müssen, dass Sie sich mit der Polizei in Verbindung setzen. Ich überprüfe es jedenfalls. Und Sie sollten jetzt vielleicht auflegen, ehe die Rechnung Ihren Finanzrahmen übersteigt.«
»Noch eine Frage.«
»Ja?«
»Kennen Sie schon
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