Morgen wirst Du frei sein (German Edition)
bedeutete zwar einen längeren Fußweg durch den Englischen Garten zu Zeckes Wohnung, doch hier konnten wir ungestört reden.
»Das mag sein. Es schadet aber nicht, sich vorher Gedanken zu machen«, antwortete ich. »Ich habe genug Fehler gemacht.«
Am Freitag nahm ich mir frei. Zecke hatte erst abends zur Nachtschicht zu erscheinen. Wir machten uns frühmorgens auf den Weg, standen allerdings nach wenigen Kilometern auf dem Mittleren Ring im Stau.
»War ja klar«, knurrte Zecke. »Berufsverkehr.« Er drehte an dem Sendersuchknopf des betagten Autoradio, suchte einen Sender, der Musik spielte, wie er sie bevorzugte: hart und laut. Ich war erleichtert, als er aufgab.
Je weiter wir uns vom Zentrum Münchens entfernten, desto zügiger floss der Verkehr. Eine Dreiviertelstunde später erreichten wir den Nachbarort von Petersweiler, unserem Ziel. Hier parkten wir das Auto und gingen zu Fuß weiter. Zecke lud sich den Rucksack auf den Rücken, in dem wir Werkzeug und Taschenlampen sowie etwas zu essen verstaut hatten.
Ich studierte die Karte, die ich ausgedruckt hatte. Wir wollten uns über Feldwege von hinten her dem Haus nähern. »Zwei bis drei Kilometer werden es wohl sein«, schätzte ich, orientierte mich kurz und marschierte los.
Anderthalb Stunden später standen wir vor Theas Haus und dehnten die vom Marsch durch den Schnee ermüdeten Beinmuskeln. In München war der Niederschlag als Regen niedergegangen. Wir hatten es vorgezogen, einen abseits gelegenen Bauernhof, der auf unserer Route lag, auf der Karte aber nicht verzeichnet war, zu meiden und einen Umweg in Kauf zu nehmen. Bis zum Waldrand war das Kindergeschrei, vermischt mit Männerstimmen zu hören gewesen.
Dann herrschte Stille.
Wir spähten durch die nur lukengroßen Fenster ins Innere, konnten uns jedoch keinen Eindruck von den Räumlichkeiten machen. Immer wieder lauschend, schlichen wir um das Gebäude herum. Keine Spur menschlichen Lebens, lediglich Pfotenabdrücke waren zu sehen.
Wir suchten nach einer Möglichkeit, ins Haus zu kommen. Selbst wenn Fenster offen gestanden wären, hätten wir uns kaum durch sie hindurchzwängen können. Uns stand nur die Tür zur Verfügung.
Und die war unverschlossen.
Zecke fand als Erster die Fassung und stieß gegen die Tür. Sie quietschte und schleifte über den Steinboden, blieb halb geöffnet stehen. Wir sahen uns an und schlüpften ins Haus.
»Eigentlich brauchen wir nicht leise zu sein«, flüsterte Zecke. »Wer das nicht gehört hat, ist ohnehin taub.« Er schob die Türe mit dem Fuß zu und schaute sich um.
Wir standen in einem Flur, der lediglich von einem kleinen Fenster in schummriges Licht getaucht wurde. Eine Holztreppe führte nach oben. Sie wirkte alles andere als vertrauenerweckend.
Zecke drückte die Klinke einer der beiden von diesem Vorraum abgehenden Türen nieder und betrat eine große Wohnküche mit massivem Holztisch, sechs wackelig aussehenden Stühlen sowie einer Küchenzeile mit Gasherd, Oberschränken und Regalen. Staub wirbelte durch die Luft, doch das Zimmer war aufgeräumt und sauber.
Vor einem Holzofen stand eine Kiste mit Kleinholz, einige Zeitungen lagen daneben. Ich trat näher. Die oberste Ausgabe trug ein Datum von 2008.
Im Nebenraum, offensichtlich eine Abstellkammer, stapelte sich das Papier meterhoch. Auch Brennholz lagerte hier. In einem Regal standen Einmachgläser und Dosen, Mehltüten und Zucker.
»Hier lebt definitiv jemand«, konstatierte Zecke. Er war bereits auf dem Weg in den Flur. »Mal sehen, was drüben ist.« Ich hörte ihn nebenan die Türe öffnen. Im Gegensatz zur Küchentür gab sie klagende Geräusche von sich. »Ein Wohnzimmer, offensichtlich unbenutzt«, gab Zecke bekannt. »Kachelofen, eine Ofenbank, sonst nichts.«
Er erklomm die Treppe, hielt aber auf der dritten Stufe inne und stieß einen überraschten Laut aus. »Verdammt, ist das Teil altersschwach. Ich hoffe, es bricht nicht gerade jetzt zusammen.« Vorsichtig bewegte er sich weiter. »Scheint zu halten. Kannst kommen«, rief er mir zu. Von oben hörte ich seine Schritte auf dem knarrenden Holzboden. Mich an der Wand haltend tastete ich mich die wackelige Stiege hinauf.
»Schlafzimmer«, meldete Zecke. »Und ein Bad. Wenn man es Bad nennen will.« Er öffnete die Tür, so dass ich hineinschauen konnte. Zecke schüttelte den Kopf. »Kein Wunder, dass sie es vorgezogen hat, zu dir zu ziehen.« Er grinste mich an.
Ich war fassungslos über den Anblick, der sich mir bot.
Weitere Kostenlose Bücher