Morgen wirst Du frei sein (German Edition)
Mörder.«
Mein Haftbefehl wurde aufgehoben. Das, erklärte mir Petermann, bedeute, dass ich vom Vorwurf des Mordes beziehungsweise des Totschlags entlastet sei. Vorläufig. Man ermittle zwar jetzt in der Hauptsache gegen Thea Steinbichler, behalte mich jedoch auf dem Radar.
Ich ahnte, warum. Man mochte fraglos kaum glauben, dass ein Mensch so dumm sein konnte, neben einer Leiche aufzuwachen und sich, statt nachzudenken, augenblicklich an deren Entsorgung machte. Und dann auch eine Wildfremde ins Haus zu lassen, ohne den Versuch zu unternehmen, sie loszuwerden, notfalls mit Gewalt.
Meine und Zeckes Bemühungen, Thea zu vertreiben, wurden erkennbar als wenig ernsthaft, mehr noch, als höchst stümperhaft abgetan. Verständlich. Im Rückblick schoss mir das Blut in die Wangen, wenn ich mir unsere Naivität bewusst machte.
Vernehmungen stellten weiterhin meinen Alltag dar, mit dem Unterschied, dass ich nun selbst zum Polizeipräsidium fahren musste. Ich genoss es, nach den aufreibenden Terminen durch die Fußgängerzone zu schlendern, in Cafés zu sitzen, durch Kaufhäuser zu bummeln. Ich stieg auf den Turm des Alten Peter, besuchte die Frauenkirche und schaute mir das Glockenspiel am Rathaus an.
Ich begann zu leben.
40. Kapitel
Ein weiterer Außentermin wurde anberaumt. Diesmal fuhren wir dorthin, wo Jessica ums Leben gekommen war.
Ich war nur als Zeuge vorgesehen, meine innere Anspannung aber war nicht geringer als an dem Tag, an dem ich als Mordverdächtiger hatte demonstrieren sollen, wie ich meine Mutter aus der Küche in den eigens dafür geliehenen Transporter gewuchtet hatte.
Heute ging es um Jessica. Die große, die erste Liebe meines Lebens. Der Kloß in meinem Hals wurde dicker, die Tränen, die ich krampfhaft zurückzuhalten versuchte, brannten stärker, je näher wir dem Ort kamen, an dem sie gestorben war.
Fünf Köpfe beugten sich über eine ausgebreitete Landkarte, zogen Linien mit Zeigefingern, deuteten auf einen Waldweg, überprüften das GPS-Gerät, das ein uniformierter Polizeibeamter schwenkte. Ich erkannte den Staatsanwalt, den Älteren der beiden Kommissare und einen der Tatorttechniker. Der Polizist, der mich hierher gebracht hatte, gesellte sich zu seinen Kollegen, um mit ihnen auf Anweisungen zu warteten.
Thea stand, von zwei Beamten flankiert, in Handschellen neben einem Mann, der auf sie einredete. Er hielt eine Aktentasche so in der Hand, dass sie als Schreibunterlage diente. Während er sprach, zeichnete er mit wilden Strichen auf ein Blatt Papier.
Thea beachtete ihn nicht. Sie schaute mich an, bewegte sich auf mich zu, wurde von einem der Polizisten am Arm gepackt und zurückgerissen. Sie stolperte und fiel auf die Knie. Ihr Anwalt starrte entsetzt auf sie hinunter. Die beiden Uniformierten zogen Thea wieder auf die Beine. Diese hatte weder einen Laut von sich gegeben noch anders reagiert. Ihre Augen waren unentwegt auf mich gerichtet.
In meinem Nacken richteten sich die Härchen auf.
Der Staatsanwalt, durch den Aufruhr alarmiert, hatte mich entdeckt und winkte mich heran. »Grüß Gott, Herr Klingenberg. Schön, dass Sie es einrichten konnten.«
Ich war sprachlos. Einrichten?
»Sehen Sie sich das doch bitte mal an. Welche Route denken Sie, hat Frau Steinbichler genommen?«
Ich stellte mich neben ihn und betrachtete die Karte. Dann deutete ich auf einen Weg, der etwa einen Kilometer vor dem Bahnhof endete.
»Hm. Und davor? Die beiden Frauen sind doch nicht querfeldein gelaufen, oder?«
»Entlang der Gleise führt ein gut begehbarer Trampelpfad. Er wird oft genutzt«, entgegnete ich. Ich spürte Theas Blick in meinem Rücken.
Einige der wartenden Polizisten wurden in die angegebene Richtung geschickt, sollten den Weg abschreiten und die benötigte Zeit stoppen.
Während sie unterwegs waren, gingen wir hinüber zum Hof. Als ich das letzte Mal hier stand, war lediglich der Brunnen gesichert. Nun hatte man eine weiträumige Absperrung aufgebaut. Ein Teil des mannshohen Gitters war geöffnet, so dass wir das Gelände betreten konnten. Die Abdeckung auf der Zisterne hatte man entfernt; ein Polizist mit großer Stabtaschenlampe wartete daneben. Er sprach mit einem Mann, der sich an einer auf ein Stativ montierten Kamera zu schaffen machte. Ich kannte ihn von meinem eigenen Ortstermin, wo er gefilmt hatte.
Thea wurde hergeführt.
Als wir um das Loch versammelt waren, in das Jessica gestürzt war, wo sie tagelang erfolglos versucht hatte, sich zu
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