Morgen wirst Du frei sein (German Edition)
befreien, und schließlich entkräftet zusammengesunken war, konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten.
Thea stand abseits, starrte mich mit ihren grünen Augen an und schwieg. Ich glaubte, ein leichtes Lächeln über ihr Gesicht huschen zu sehen.
Der Staatsanwalt bat einen der Forensiker, den möglichen Tathergang zu beschreiben. Das Vorgetragene deckte sich mit dem, was ich mir überlegt hatte. Als ich jetzt hörte, wie grausam und berechnend Thea vorgegangen sein musste, wurde mir klar, in welcher Gefahr ich selbst geschwebt hatte. Und das alles, um ein Zuhause zu haben? Brauchte sie mich als Mittel zum Zweck oder lag ihr etwas an mir? Hatte diese Frau Gefühle?
Doch, sie waren da gewesen, ich hatte sie erlebt und gespürt. Aber ich kannte auch die Thea, die mir Angst machte, mich kalt und subtil bedrohte.
Diese Frau hatte Jessica ermordet. Hatte sie in einen Schacht gestoßen. War fortgegangen, die panischen Hilferufe ignorierend. Hatte einen Menschen verhungern und verdursten lassen.
Ich trat einen Schritt beiseite und übergab mich auf die Schuhe des Staatsanwalts.
41. Kapitel
Ein Jahr später.
Auf die Schneeschaufel gestützt, schaue ich über die Felder, die am Horizont übergangslos in Himmel münden. Weitere Schneefälle sind angekündigt.
In den Städten ist der Verkehr so gut wie zum Erliegen gekommen; auf dem Land bahnen Traktoren weniger geländegängigen Fahrzeugen den Weg oder ziehen sie aus unsichtbaren Gräben und Wehen.
Züge fahren selten oder gar nicht mehr, Schulen und Kindergärten sind bereits seit Tagen geschlossen. Auch die Universität, an der ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand arbeite, hält den Betrieb nur notdürftig aufrecht.
Vor einem Jahr hatte der Schnee lange Zeit auf sich warten lassen; erst Ende Januar wurde es winterlich. Am Fenster stehend hatte ich beobachtet, wie die Landschaft von einer weißen Decke verhüllt wurde.
Ich spüre noch die Wärme der Ruhe, die sich in mir ausgebreitet hatte. Es ist vorbei, hatte ich gedacht. Endlich vorbei.
Ich hatte mich geirrt.
42. Kapitel
Der Verlag entließ mich am 23. Dezember, an dem Tag, an dem meine Mutter auf dem Friedhof in Kleinspornach beerdigt wurde. Man wisse zwar, dass ich unschuldig sei, irgendwie zumindest, doch die Geschäftsleitung ... Das müsse ich verstehen, erklärte mir mein Vorgesetzter, hilflos die Schultern zuckend.
Ich verließ ohne ein Wort das Gebäude, fuhr zur Uni und informierte Professor Heintzmann, den Betreuer meiner Abschlussarbeit. Er zeigte sich wenig überrascht von meiner Kündigung. »Ich lese Zeitung und sehe fern«, sagte er, gab darüber hinaus aber keinen Kommentar ab. Er bot mir an, ich könne meine Arbeit leicht verändert weiterführen.
»Diese Praxisnähe, von der meine Kollegen so begeistert sind, gefällt mir ohnehin nicht. Dies ist eine Universität, der Forschung und Lehre verpflicht, und keine Akademie«, erklärte er barsch.
Ich war einverstanden. Welche andere Wahl hatte ich?
Nachdem ich alle Formalitäten erledigt hatte, zu denen gehörte, meine Mutter als verstorben zu melden und mein Erbe anzutreten, kehrte in mein Leben eine Art Normalität zurück.
Ich saß in der Uni-Bibliothek oder im Vorlesungssaal, ging Professor Heintzmann zur Hand, der mich zunehmend als seinen Assistenten einsetzte, arbeitete wieder in der Buchhandlung in der Schellingstraße und wohnte wochentags bei Zecke.
Freitags fuhr ich nach Hause.
Ideen, wie ich das Haus, das nun mir gehörte, von außen freundlicher und innen wohnlicher gestalten könnte, entwickelte ich bereits, als Thea noch dort gewohnt hatte.
Nun würde ich sie verwirklichen.
Als Erstes räumten Zecke und ich alle Möbel ins Freie und warfen sie auf einen großen Haufen. Die Küchenzeile und die Geräte blieben, doch alles, was sich in den Schränken und Kästen befand, warf ich in einen Karton und stellte ihn zu den Möbeln.
Als im Haus die Leere hallte, stand ich in der Badezimmertüre, schaute in den tristen Raum.
»Vorschlaghammer?«, fragte Zecke.
Ich nickte. »Müssten zwei im Schuppen sein. Schau du nach, ich stelle den Wasserhahn im Keller ab.«
Zecke kam mit verschiedenen Hämmern, einigen Meißeln sowie drei Eimern zurück. Und mit der Plastikplane, in die ich meine Mutter eingewickelt hatte, um sie ins Moor bringen zu können. Ich schluckte trocken, sagte aber nichts. Dann begannen wir damit, die Fliesen von der Wand zu schlagen.
Es dauerte länger als
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