Morgen wirst du sterben
drin?«
Moritz nickte stumm.
»Hol ihn raus!«, sagte Sophia.
Er glotzte sie an, als ob sie von ihm verlangt hätte hinterherzuspringen. »Er ist tot«, sagte er.
»Na und?«, schrie Sophia. »Ich will, dass du ihn da rausholst, verdammt noch mal! Du kannst ihn doch nicht im Wasser lassen. Sag mal, wie bist du denn drauf?« Ihre Stimme gellte durch den Garten. Aus einem der Bäume kreischte eine Elster.
Moritz nickte hastig. »Warte!« Er rannte in den Schuppen, in dem sie ihre Gartengeräte aufbewahrten, und kam nach ein paar Sekunden mit einer Mistgabel heraus. Einer Mistgabel!
»Hast du sie noch alle?«, schrie Sophia. »Willst du ihn aufspießen?«
Sie rannte selbst zum Schuppen, holte eine große Schaufel und wollte sie Moritz geben, aber er hielt sich mit beiden Händen an der Mistgabel fest. Es hatte keinen Sinn, sie musste es selbst machen.
Sophia atmete tief ein. Bis jetzt hatte sie keinen Blick in die Tonne geworfen. Vielleicht war es ja gar nicht Egon, der da hineingefallen und ertrunken war, dachte sie plötzlich. Hier in der Nachbarschaft gab es so viele Katzen, vielleicht hatte es eine von ihnen erwischt. Aber ein Blick über den Rand genügte. Egon trieb auf der Wasseroberfläche wie ein riesiger honigfarbener Karamellpudding. Sophia schloss einen Moment lang die Augen. Am liebsten wäre sie weggerannt.
Aber dann schob sie die Schaufel unter den schlaffen Katerkörper und hievte ihn damit aus der Tonne. Behutsam legte sie ihn ins Gras. Sie trat einen Schritt zurück und betrachtete ihn. Und kämpfte auf einmal mit den Tränen.
Egon sah so erbärmlich aus. Durch das nasse Fell, das an seinem Körper klebte, wirkte er viel dünner und kleiner als sonst. »Er war gar nicht so dick, wie wir immer dachten«, murmelte Sophia.
Moritz antwortete nicht.
»Wir müssen ihn begraben«, sagte Sophia. »Aber vorher muss jemand Frau Blunt Bescheid sagen.«
Immer noch keine Reaktion.
»Machst du das?« Jetzt drehte sie sich zu ihrem Bruder um. Und schnappte nach Luft.
Ihr Bruder war weg.
Sie wollte ihm nach, aber dann brachte sie es einfach nicht über sich, den kalten, nassen Egon einfach so auf dem Rasen liegen zu lassen. Obwohl es jetzt eigentlich keine Rolle mehr spielte, er war ja schon tot.
Sie holte einen Spaten, grub ein Loch in eines der unkrautüberwucherten Beete und legte den toten Kater hinein. Bevor sie das Grab wieder zuschüttete, warf sie ein paar Löwenzahnblüten und Gänseblümchen hinterher. Rest in peace.
Frau Blunt würde sie die traurige Nachricht später überbringen, wahrscheinlich vergaß sie sie in ihrer Verwirrtheit ohnehin sofort wieder.
Jetzt war zuerst einmal Moritz an der Reihe. Vermutlich war er es gewesen, der die Regentonne nicht abgedeckt hatte. Und als er Egon dann gefunden und gemerkt hatte, was er angerichtet hatte, war er ausgerastet. Und hatte es nicht einmal geschafft, den Kater zu begraben. Weggelaufen war er vor Ekel oder vor Scham oder weshalb auch immer.
»Und so was will Arzt werden«, murmelte Sophia. Sie rieb ihre schmutzigen Hände an der Jeans ab, wodurch ihre Haut nicht sauberer, aber die Hose dreckiger wurde.
Zielstrebig marschierte sie zum Zimmer ihres Bruders, klopfte gar nicht erst an, sondern riss direkt die Tür auf. Aber Moritz war nicht da. Er war aus der Wohnung geflüchtet, bevor Sophia ins Haus gekommen war.
»Du blödes Arschloch!« Sie trat wütend gegen sein Bett, dass es gegen die Wand knallte. Kickte seinen Schreibtischstuhl um und warf einen Ordner zu Boden. Als sie das Zimmer wieder verließ, sah sie, dass ihre Schuhe dunkle Dreckspuren auf dem hellen Dielenboden hinterlassen hatten. Im selben Moment hörte sie, wie jemand die Wohnungstür aufschloss. Es war ihr Vater.
»Was ist los?«, fragte er. »Ist alles in Ordnung mit dir, Sophia?« Er war vollkommen außer Atem, als ob er fünf Treppen hochgerannt wäre.
»Mit mir schon«, sagte Sophia.
»Und Moritz?«, keuchte ihr Vater.
»Moritz? Was soll mit ihm sein?«
»Ich hab Lärm gehört. Ist wirklich alles okay?« Er sah sich so misstrauisch um, als vermutete er hinter dem nächsten Vorhang oder in einem Schrank einen Entführer, der seine Waffe auf Sophia gerichtet hielt, damit sie nichts Falsches sagte.
»Was willst du eigentlich hier?«, fragte Sophia zurück.
»Ist Moritz da?«
So kamen sie nicht weiter. Wenn sie sich die ganze Zeit gegenseitig Fragen stellten, aber keiner die des anderen beantwortete.
»Moritz war da. Ist gerade eben
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