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Morgen wirst du sterben

Morgen wirst du sterben

Titel: Morgen wirst du sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Mayer
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ist«, sagte er immer. So ein Quatsch. Nicht die geringste Ahnung hatte er.
    Sophia schlurfte aus dem Musikpavillon in Richtung Ausgang. Seit der großen Pause hatte sie darüber nachgedacht, wie sie ihre Eltern umstimmen konnte. Und war zu keinem Ergebnis gekommen. Zu jedem Argument fiel ihr immer gleich die Antwort ihres Vaters ein: »Mit anonymen Drohbriefen ist nicht zu spaßen. Vielleicht steckt ein Perverser dahinter. Die Polizei wird das Ganze vertraulich behandeln, keine Angst! Keiner deiner Mitschüler wird etwas davon mitbekommen.«
    Vor dem Schulgebäude blickte Sophia sich suchend um. Der rote Mini ihrer Mutter war nirgends zu sehen. Vielleicht hat sie es nicht geschafft, dachte sie erleichtert, aber im selben Moment hörte sie ein Hupen und dann ihren Namen. »Sophi-ja, hi-ier!« Der Wagen parkte auf der anderen Straßenseite auf einem Behindertenparkplatz, daneben stand ihre Mutter. Und rauchte. Auch das noch.
    Frau Rothe war eigentlich Nichtraucherin, sie zündete sich nur in absoluten Notfällen eine Zigarette an. Wenn sie genervt war oder total im Stress oder wütend. Wahrscheinlich hat sie sich wieder mit ihrer Kollegin gestritten, dachte Sophia.
    Ihre Mutter blies einen grauen Rauchfaden in den Himmel, nahm noch einen gierigen Zug, obwohl der Filter fast schon glühte. Dann warf sie die Kippe auf den Boden und trat sie so nachdrücklich aus, dass nur noch ein gräuliches Klümpchen übrig blieb. »Steig ein«, sagte sie und schob sich auf den Fahrersitz.
    Frau Rothe war ziemlich groß und langbeinig, genau wie Moritz. In dem Mini wirkte sie wie eine Giraffe in einem viel zu kleinen Käfig. Sophia quetschte sich neben sie. Sie war ebenfalls ziemlich groß, aber nicht so dünn wie ihre Mutter.
    Du kommst nach meinem Vater, sagte Herr Rothe immer, wahrscheinlich sollte das ein Trost sein. Sophia hatte ihren Großvater nicht mehr kennengelernt, es gab auch nur wenige Fotos von ihm. Aber er war ziemlich fett gewesen und mit neunundfünfzig Jahren an Herzversagen gestorben. Herzlichen Glückwunsch.
    »Was ist denn los?«, fragte sie ihre Mutter und ließ das Fenster herunter. Frau Rothe verbreitete einen Gestank wie ein voller Aschenbecher.
    »Dein Vater«, gab Frau Rothe zurück. »Er spinnt total.«
    »Wieso das denn?«
    »Ich hab mir extra den halben Tag freigenommen. War echt kompliziert. Auf jeden Fall hab ich gerade alles organisiert und arrangiert, da ruft mich der Herr Doktor an, um mir mitzuteilen, dass er seine Meinung geändert hat.«
    »Bitte was? Welche Meinung?«
    »Er ist jetzt urplötzlich der Ansicht, dass wir doch nicht zur Polizei sollen.«
    »Echt?«, fragte Sophia, ungläubig und erfreut zugleich. »Und warum jetzt plötzlich?«
    »Das fragst du ihn am besten selbst.« Frau Rothe ließ den Wagen an. »Ich konnte seine wirren Argumente nämlich beim besten Willen nicht nachvollziehen. Hü und hott – wie es ihm gefällt.« Sie fuhr so abrupt aus der Parklücke, dass sie fast mit einem anderen Auto zusammenstieß. Der Fahrer hupte. Frau Rothe warf in einer Geste der Empörung beide Arme nach oben.
    »Mama!«, sagte Sophia mahnend.
    »Was? Hier ist eine Dreißigerzone. Und dieser Idiot rast hier entlang!«
    »Vielleicht ist es ja wirklich besser so«, sagte Sophia. »Wenn wir nicht zur Polizei gehen, mein ich. Ich hab auch noch mal nachgedacht und finde das Ganze jetzt irgendwie … lächerlich.«
    »Lächerlich?«, fragte ihre Mutter ungläubig. »Sag mal, seid ihr beide verrückt geworden? Dieser Kerl schreibt dir Drohmails und nennt dir sogar noch ein Datum, an dem er dich … keine Ahnung, was er vorhat. Das ist alles, bloß nicht lächerlich!«
    »Wir wissen doch noch nicht, ob es überhaupt ein Kerl ist«, sagte Sophia.
    Ihre Mutter schloss kurz genervt die Augen, obwohl sie inzwischen auf die Schnellstraße eingebogen war.
    »Ich fahr dich jetzt nach Hause«, erklärte sie. »Heute Abend setzen wir uns noch mal zusammen. Und morgen gehen wir zur Polizei. Und wenn dein Vater sich auf den Kopf stellt.«
    Sophia starrte aus dem Autofenster, an dem die Stadt vorbeiflog. Sie würde keine Anzeige erstatten und ohne sie konnte auch ihre Mutter nichts unternehmen. Die Sache war erledigt.
    Sie fragte sich allerdings, woher der plötzliche Sinneswandel ihres Vaters kam. Warum ruderte er jetzt wieder zurück? Egal, dachte Sophia. Vergessen wir die Sache. Und zwar gründlich. Die nächste Mail würde sie ihren Eltern gegenüber auf keinen Fall erwähnen. Wenn überhaupt noch eine kam.

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