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Morgen wirst du sterben

Morgen wirst du sterben

Titel: Morgen wirst du sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Mayer
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ein Kamin an der anderen. Ein riesiges abstraktes Gemälde über dem Sofa, davor ein leuchtend roter, weicher Teppich. Geschmackvoll, dachte Julie. Und teuer.
    Hier waren also Sophia und ihr Bruder aufgewachsen, während Julie in Hamburg gegen Mariannes Chaos gekämpft hatte.
    »Da drüben ist Kommissar Becker«, sagte Sophia. Ein untersetzter Mann mit Glatze, der sich mit zwei Polizisten unterhalten hatte, kam nun auf sie zu.
    »Ich bin Julie Klausen aus Hamburg.« Sie gab ihm die Hand.
    »Das vierte Kind. Das ging aber schnell.«
    »Das vierte Kind?«
    »Ihr Vater hatte noch einen Sohn aus erster Ehe«, erklärte Becker, »von dem ihre Geschwister allerdings bis vor Kurzem auch nichts wussten.«
    »Na, so was!«
    »Dass Ihr Vater entführt wurde, haben Sie mitbekommen?«
    »Meine Mutter hat es mir erzählt.«
    »Na, am besten kommen Sie erst mal mit. Der Rest der Familie ist in der Küche. Sie wollen sich bestimmt erst mal kennenlernen.«
    Philipp nahm einen Schluck Kaffee und betrachtete dabei die hochgewachsene Blonde, die der Kommissar gerade eben in die Küche gebracht hatte. Julie aus Hamburg. Seine zweite Schwester.
    Vorgestern war er vollkommen unabhängig gewesen. Einmal abgesehen von Vivian natürlich. Jetzt hatte er auf einmal eine Familie. Drei Geschwister. Und eine Stiefmutter. Die allerdings keinen sehr lebendigen Eindruck machte. Bleich und zittrig war Frau Rothe gewesen, als sie ihn vorhin begrüßt hatte. »Hallo, Philipp. Jetzt lernen wir uns also endlich einmal kennen.« Als ob sie sich schon lange danach gesehnt hätte. Dann hatte sie sich entschuldigt. »Mir ist nicht gut, ich muss mich dringend noch mal hinlegen.«
    Das wiederum konnte Philipp gut nachvollziehen. Am liebsten hätte er sich ebenfalls zurückgezogen. Und zwar für immer.
    Dieser Moritz, sein Stiefbruder, war ihm herzlich unsympathisch. Ein Sonnyboy, ein Goldjunge, dem alle Herzen zuflogen. Diese Typen hatte Philipp schon in der Schule gehasst. Bist ja nur neidisch!, hörte er Yasmin flüstern. Ausgerechnet Yasmin, was hatte die jetzt eigentlich noch in seinem Kopf verloren? Was sie sagte, stimmte auch nicht, er war nicht neidisch. Er war genervt.
    Weil er nun in diese Familiengeschichte verwickelt war und nicht mehr davon loskam. Irgendein Idiot, der ein Problem mit seinem Vater hatte, hatte ihn ausspioniert und dann diese bescheuerten SMS geschrieben. Und nun war sein Vater verschwunden und die Polizei stürzte sich auf ihn. Fragen über Fragen hatte dieser Kommissar ihm heute Morgen schon gestellt. Fragen, auf die er keine Antworten hatte. Er hatte seinen Vater nie kennengelernt. Er wusste nicht, was er verbarg. Ob er überhaupt etwas verbarg.
    Zum Glück war jetzt diese Julie da. Nun konnten die Bullen sie in die Mangel nehmen. Stochern im Nebel, dabei kam doch nichts raus.
    Sie sah gut aus, seine Schwester aus Hamburg. Und die Art, wie sie sich jetzt nachlässig durch die Haare fuhr und dann die Kaffeetasse entgegennahm, die Becker ihr anbot, das hatte was. Aber sobald sie die ersten drei Sätze von sich gegeben hatte, war sie Philipp genauso unsympathisch wie Moritz. Julie war kalt wie Eis. Und ehrgeizig, verbissen ehrgeizig, so schätzte er sie ein. »Ich fang im Herbst auf der Schauspielschule an«, verkündete sie und strich sich wieder die Haare aus dem Gesicht, aber jetzt wirkte die Geste nur noch affektiert auf Philipp. Da passt du auch hin, dachte er. Du bist bestimmt ganz großartig darin, anderen etwas vorzumachen.
    Sophia schien dagegen ganz nett zu sein. Wahrscheinlich hatte sie ihr Leben lang unter ihrem Sonnyboy-Bruder gelitten. Der natürlich Mediziner werden wollte, genau wie sein Vater. Wie mein Vater, dachte Philipp. Ihn verband nichts mit diesen Menschen. Er wollte sie auch nicht besser kennenlernen. Er wollte zurück nach München zu Vivian, in sein Büro. In sein eigenes Leben.
    »Habt ihr vielleicht mal ein Foto von eurem … ich meine, von unserem Vater?«, fragte Julie. »Ich kann mich nämlich gar nicht mehr erinnern, wie er aussieht.«
    »Warte, ich hol dir ein Bild«, sagte Sophia und verschwand im Wohnzimmer und kam kurz danach mit einem Familienfoto zurück. Ausgerechnet. »Ich hab auf die Schnelle nichts anderes gefunden«, sagte sie entschuldigend, während sie Julie den Bilderrahmen reichte.
    Philipp trat einen Schritt näher. Er sah vier lachende Menschen in einem sommerlichen Garten. Vater, Mutter, zwei Kinder. Das perfekte Glück.
    Die Aufnahme war schon ein bisschen älter, Sophia war

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