Morgen wirst du sterben
dem Philipp als Kind oft gespielt hatte, während Ella und seine Mutter oben auf dem Balkon gesessen und Kaffee getrunken hatten. Ellas Haare waren immer noch grellrot, allerdings trat an den Schläfen und am Haaransatz die graue Wahrheit zutage. »Ich hab auf dem Balkon gedeckt«, erklärte sie. »Es gibt Erdbeerkuchen, selbst gekauft.«
Auf dem blumengeschmückten Tisch stand ein Aschenbecher. Und kaum, dass sie saßen, zündete sich Ella auch schon eine Zigarette an. »Ich kann es nicht lassen. Aber immerhin rauch ich jetzt nur noch fünf Stück am Tag«, seufzte sie. »Aber nun schieß mal los. Was willst du wissen?«
»Mein Vater«, sagte Philipp einfach. »Du hast ihn doch gekannt. Wie war er?«
Sie blies einen Rauchring übers Balkongeländer und blickte ihm nach, bis er zerplatzte.
»Jochen. Er war Birgits erste große Liebe. Obwohl sie schon dreiundzwanzig war, als sie sich kennengelernt haben. Sie haben ziemlich schnell geheiratet, ich war damals total überrascht, als sie mir davon erzählt hat.«
»Wo hat sie ihn denn kennengelernt?«
»Im Krankenhaus. Er war Assistenzarzt auf der gynäkologischen Abteilung und hat ihr eine Zyste an den Eierstöcken entfernt. 1980 war das.«
»Wie romantisch.«
»Unterschätze nie die Erotik eines weißen Arztkittels«, sagte Ella. »Obwohl ich persönlich eher auf Pilotenuniformen stehe. Aber das gehört jetzt nicht hierher. Birgit und Jochen waren verrückt nacheinander. In den ersten Jahren ihrer Ehe hab ich sie kaum zu Gesicht bekommen. Muss allerdings auch gestehen, dass ich mich mit deinem Vater nicht allzu gut verstanden habe.«
»Warum nicht?«
Sie drückte ihre Zigarette aus. »Er war ein Frauenheld. Immer auf Eroberungskurs, wenn du verstehst, was ich meine. Bei mir kam sein Charme aber nicht an. Und als er das gemerkt hat, hat er mich links liegen lassen.« Sie zuckte mit den Schultern. »Sorry, wenn ich das so deutlich sage.«
»Ist schon okay. Erzähl weiter.«
»Sie waren sehr glücklich miteinander. Birgit strahlte immer, wenn ich sie gesehen habe. Ich glaube, ehrlich gesagt, das waren die besten Jahre ihres Lebens.«
Philipp nahm einen Schluck Kaffee. Die besten Jahre ihres Lebens. Bevor er überhaupt auf der Welt war. »Und dann kam ich.«
»Nein«, sagte Ella gedankenverloren. »Dann kam erst mal eine andere. Jochen hatte ein Verhältnis.«
»Mit wem?«
»Keine Ahnung.«
»Wieso nicht? Hat Mama ihn nicht zur Rede gestellt?«
»Sie wollte es ja nicht glauben. Er hat eine Krise, sagte sie. Ihm geht’s grad nicht so gut. Der Stress im Krankenhaus. Aber ich war und bin felsenfest davon überzeugt, dass eine andere Frau im Spiel war. Denn er kam abends nicht mehr nach Hause, musste am Wochenende ständig verreisen und im Bett lief bei ihm und Birgit auch nichts mehr.«
»Aber dann hat er sich wieder gefangen?«
Ella griff nach ihrer Zigarettenpackung, betrachtete sie sehnsüchtig und legte sie wieder weg.
»Ich weiß es nicht. Birgit wurde schwanger. Sie war überglücklich. Sie hatten sich so lange ein Kind gewünscht und nie hatte es geklappt. Sie hatte die Hoffnung fast aufgegeben.«
Philipp blickte hinunter in den Park. Vor der Schaukel, auf der er als Kind immer gesessen hatte, saß ein Hund und kackte.
»Jochen hat sich auch gefreut. Ich glaube, er hat wirklich versucht noch mal neu anzufangen. Seiner Ehe eine Chance zu geben. Aber es hat nicht funktioniert. 1988 haben sie sich scheiden lassen. Du warst gerade mal ein Jahr alt.«
»Gab es eine andere?«
»Nicht dass ich wüsste. Ein paar Jahre später hat er sich dann mit seiner Praxis in Düsseldorf niedergelassen und seine Sprechstundenhilfe geschwängert. Den Rest kennst du, du warst ja dort.« Nun nahm sie sich doch noch eine Zigarette. »Wer ihn entführt haben könnte – keine Ahnung. Vielleicht ein eifersüchtiger Ehemann, dem er die Frau ausgespannt hat.«
»Werner«, sagte Philipp. »Sagt dir der Name was?«
Ella riss die Augen auf. »Na klar! Das hätte ich ja fast vergessen. Werner war ganz, ganz wichtig für Jochen. Und seine Frau. Wie hieß die denn noch? Hach, mein Gedächtnis, ich komm nicht mehr drauf.«
»Wer war dieser Werner?«
»Ein Freund – ach was – der Freund. Jochen und er waren wie Pech und Schwefel. Werner hat fast zur gleichen Zeit geheiratet wie Jochen. Und Birgit hat sich mit seiner Frau sehr gut verstanden. Ich war immer ein bisschen eifersüchtig auf sie. Annette hieß sie, jetzt weiß ich’s wieder.«
»Kennst du den Nachnamen von
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