Morgendaemmerung der Liebe
Jake sie, Jessica, nicht liebte. Verbrachten sie ihren Urlaub in der Schweiz immer zur gleichen Zeit? Oder war es reiner Zufall, dass sie sich heute getroffen hatten?
Wanda trat vor. Sie sah älter aus, als Jessica sie in Erinnerung hatte. Und sie schien ihr ungetrübtes Selbstbewusstsein verloren zu haben, denn ihr Lächeln wirkte unsicher.
„Jessica.“
„Ich bin Wanda heute Morgen zufällig am Fahrstuhl über den Weg gelaufen und habe sie eingeladen, den Lunch mit uns zusammen zu nehmen.“ Jake hielt Wanda den Stuhl, damit sie sich setzen konnte. Dann fragte er seine beiden Begleiterinnen, was sie zu trinken wünschten.
„Danke, ich habe noch etwas“, sagte Jessica und zeigte auf ihr halb volles Glas.
Wanda lehnte ebenfalls ab und klopfte sich leicht auf den Bauch. „Mein Baby hält nichts von Alkohol“, meinte sie, und Jessica sah das Blitzen des goldenen Eherings an ihrem Finger.
Eventuell war dieses Treffen also wirklich harmlos. Oder vielleicht tat Wanda auch nur alles, um Misstrauen gar nicht erst aufkommen zu lassen. Vor sechs Jahren hatte sie noch keine solchen Hemmungen gehabt. Damals hatte sie unverblümt behauptet, Jake sei ihr Liebhaber.
„Na, wenn ihr beide nichts trinken wollt, können wir gleich ins Restaurant durchgehen“, schlug Jake vor.
Er blieb zurück, um den beiden Frauen den Vortritt zu lassen, und Jessica wandte sich kühl an Wanda: „Ist dein Mann auch hier?“
„Oh, Gavin musste heute Morgen nach Innsbruck“, antwortete Wanda freundlich. „Sein Chef hatte ihn gebeten, dort wichtige Papiere abzuholen. Gavin arbeitet als Anwalt in der Rechtsabteilung eines großen internationalen Konzerns, da gibt es immer irgendwelche Krisen.“ Sie lachte. „Das hier ist unser erster richtiger Urlaub, obwohl wir schon drei Jahre verheiratet sind. Und er hat sich überhaupt nur bereit erklärt, weil ich ihn unablässig darum gebeten habe. Er fährt nicht gerne Ski.“ Sie krauste die Nase und lächelte Jake zu. „Da bist du ganz anders Jake, nicht wahr? Erinnerst du dich noch an diesen großartigen Abhang in Corbière vor sechs Jahren?“
Das klang so locker und lässig, dass Jessica fast hätte annehmen können, sie beide seien nicht mehr als gute Bekannte. Doch sie kannte die Wahrheit, und deshalb flammte siedende Eifersucht in ihr auf. Sie verzog die Lippen, während Wanda und Jake in Erinnerungen an frühere Skiurlaube schwelgten.
Während des Lunchs führte vor allem Wanda das Wort. Eigentlich konnte Jessica keinen Anstoß nehmen an dem, was Wanda erzählte. Vermutlich lag ihre eigene Schweigsamkeit an der Eifersucht und Feindseligkeit, die in ihr aufkeimten.
Ob Wandas Mann wusste, dass seine Frau und Jake früher eine Affäre hatten? Früher? Oder immer noch?, fragte Jessica sich bitter. Sie schaute zu ihrer Konkurrentin. Wanda sah blendend aus, sie wirkte glücklich, strahlte von innen heraus. Ob Jake es bereute, sie nicht geheiratet zu haben, als er die Chance dazu hatte? Wanda war schwanger – das hätte der Enkel sein können, den Jake sich für seinen Vater so verzweifelt wünschte.
Inzwischen waren sie die Letzten, die noch im Speisesaal saßen. Wanda stieß beim Blick auf die Uhr einen leisen Schreckensschrei aus.
„Was denn, ist es wirklich schon so spät?! Um drei soll ich mich mit Gavin im Dorf treffen. Warum gehen wir vier nicht heute Abend gemeinsam zum Dinner aus?“, schlug sie vor, als Jake den Stuhl für sie zurückzog.
„Von mir aus gern.“ Er sah fragend zu Jessica, die sich ein gezwungenes Lächeln abrang.
„Dann treffen wir uns in der Bar. So gegen acht?“ Wanda lächelte zufrieden und winkte noch einmal. „Also dann, bis heute Abend.“
Jake trank seinen Kaffee aus, dann fragte er unvermittelt: „Was ist los?“
„Nichts.“ Warum nur hörte sie sich an wie ein eingeschnapptes Kind?
„Wenn du nicht mit Wanda und ihrem Mann zusammen essen möchtest, hättest du etwas sagen müssen.“
„Sie weiß, dass wir die Flitterwochen verbringen. Ich hätte so viel Diskretion von ihr erwartet, erst gar nicht den Vorschlag zu machen. Aber vielleicht hat sie ja Mitleid mit dir und wollte dich von der Langeweile erlösen“, fügte sie sarkastisch hinzu.
Sie bereute den bissigen Kommentar sofort, als sie sah, wie er die Augenbrauen hochzog. Wenn sie nicht vorsichtig war, würde er ihre Eifersucht spüren.
„Nun, hätte ich gewusst, dass du so gern mit mir allein sein möchtest, hätte ich abgelehnt.“ Seine Lippen verzogen sich zu einem
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