Morgengrauen
teuer.«
Sie betraten das Gelände. Links, nahe dem Eingang, war das kleinere »Spiegelzelt«, in dem wie jedes Jahr die Konzerte mit Klubatmosphäre stattfanden. Geradeaus, hinter dem Beachvolleyballfeld, stand das große Zirkuszelt, in das Elke bald verschwinden würde. Rechts und links befanden sich zahlreiche Buden, in denen man von Herzhaftem bis Süßem so ziemlich alles kaufen konnte.
Vor ihnen zeigte gerade ein Jongleur seine Künste, weiter hinten sorgte ein Feuerspucker für meterhohe Stichflammen. Auf den orangefarbenen Holzbänken saßen zahllose Menschen, die die Abendsonne genossen.
Am Rand des weitläufigen Platzes entdeckte Elke den Stand mit dem indischen Essen. Sie postierte sich an einem der Stehtische rechts davon. Scharfes Curry und andere exotische Gewürze lagen in der Luft. Die Verkäufer trugen traditionelle indische Kleidung und konnten sich über mangelnde Geschäfte nicht beklagen.
Es war genau neunzehn Uhr.
»Du bist es«, sagte nach wenigen Sekunden ein etwas zerlumpt aussehender Mann zu ihr.
»Hallo«, sagte Elke. Das war er dann wohl.
»Du bist diejenige, die die neue Obdachlosenzeitung kaufen will«, fuhr der Mann fort und wedelte mit einem Packen vor ihrer Nase herum.
Nein, er war es doch nicht.
Elkes gutes Herz siegte rasch: Sie gab dem Mann zwei Euro, nahm die Zeitung und blätterte in ihr, ohne den Inhalt wirklich wahrzunehmen. Langsam spürte sie Angst in sich aufsteigen. Sie versuchte sich an einer Atemübung, was in dem Gewusel gar nicht so einfach war.
Kerstin, Hubertus und Klaus hatten sich mittlerweile in einigen Meter Entfernung auf einer der Bierbänke niedergelassen.
»Meine Seele sagt: Du musst es sein«, ertönte erneut eine Stimme neben Elke. Sie zuckte zusammen, in ihrer Übung gestört, und blickte in das vollbärtige Gesicht eines mit zahlreichen Amuletten behängten, kräftig gebauten Mannes. Er mochte vielleicht Anfang fünfzig sein und hatte ein mit Verzierungen besticktes Leinenhemd an, das aus einem anderen Winkel der Welt zu stammen schien. Sein Parfum roch intensiv. Das war er nun wirklich.
»Hallo«, sagte Elke wieder. »Ich bin Elke.«
»Wir haben einander gefunden – das weiß ich schon jetzt«, sagte der Mann. »Ich bin Pehar.« Er fasste Elke am Arm, die sichtlich bemüht war, sich nichts anmerken zu lassen.
»Na, toll«, kommentierte Hubertus von seinem Logenplatz aus. »Einer, der Frauen gleich antatscht. Am liebsten würde ich ihm gleich eins mit der Krücke … Außerdem hat er so ’nen dichten Bartwuchs, dass man die Kratzspuren gar nicht sehen könnte.«
Innerhalb der nächsten Stunde konnten die drei Beobachter mitverfolgen, wie sich Elke recht angeregt mit dem Mann zu unterhalten schien. Erst aßen die beiden etwas Indisches, dann spendierte er ihr ein Getränk.
»Sie darf das nicht trinken«, wurde Hubertus unruhig. »Was, wenn er da jetzt unauffällig Gift reingetan hat – so wie bei Claudia?«
»Hubertus, bleib ruhig. Wieso sollte er sie zu Beginn des Abends vergiften? Wir haben alles im Griff«, beschied ihn Klaus.
Das änderte sich allerdings rasch. Pehar und Elke stellten sich nämlich in der Schlange vor dem Zelteingang an – und als Klaus und Hubertus schließlich ebenfalls am Kassenhäuschen angelangt waren, sahen sie den mit dickem Filzstift bemalten Pappkarton: »Ausverkauft.«
Mittlerweile war Elke mit dem Vollbärtigen im Zelt verschwunden.
Die Freunde mussten das Doppelte des ursprünglichen Eintrittspreises berappen, bis sie sich ein Schwarzmarktticket gesichert hatten. Klaus betrat das Zelt, während Hubertus und Kerstin wieder auf einer Bank bei den Essensständen Platz nahmen. Recht klar drangen die Töne von Pat Methenys Gitarre nach draußen. Immerhin.
Da Kerstin aber bald eine Lehrerkollegin traf, blieb Hubertus alleine mit seinen Gedanken. War das hier nicht zu riskant? Verfolgten sie überhaupt die richtige Spur? Wäre es nicht vernünftiger gewesen, erst zielgerichtet Heimburger zu suchen? Und: Was, wenn dieser Pehar nicht der Mörder war, aber er und Elke tatsächlich glaubten, sie seien Seelenverwandte?
Da kam Klaus zurück. »Ich habe sie gesehen. War gar nicht so einfach – das Zelt ist recht groß und natürlich voll.«
»Und?«, fragte Hubertus.
»Alles in Ordnung«, beruhigte ihn Riesle. »Ich glaube nicht, dass der sie umbringen will. Sie knutschen gerade rum.«
Hummels Krücken fielen zu Boden. Dann begriff er, dass Klaus wieder einmal eine Kostprobe seines herzhaften Humors gegeben
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