Morgenlied - Roman
Wenn man sich anders entschied, anders handelte, kam etwas anderes heraus.
Vor sieben Jahren hatte er vor dem Juli die Zapfsäulen am Qwik Mart abgestellt und als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme Coach Moser im Gefängnis eingesperrt. Er würde nie erfahren, ob er dadurch seinen Freunden das Leben gerettet hatte oder ob der Traum nur ein Traum gewesen war.
Aber er war kein Risiko eingegangen.
Und das hatte er auch dieses Mal nicht vor, dachte Gage und schlüpfte in Boxershorts, für den Fall, dass er nicht allein im Haus war. Er war wieder zurück, wie
jedes siebte Jahr. Doch dieses Mal waren sie zu sechst, weil drei Frauen hinzugekommen waren.
Da Cal mit Quinn Black verlobt war - sie war eine attraktive Blondine, die Bücher über paranormale Phänomene schrieb -, übernachtete sie oft bei Cal. Daher konnte er unmöglich nackt nach unten gehen, um Kaffee zu kochen. Aber heute schien sich außer ihm niemand in Cals Haus im Wald aufzuhalten, auch nicht Cals großer, fauler Hund Lump. Und das war auch gut so, denn Gage zog es vor, allein zu sein, zumindest bis nach der ersten Tasse Kaffee.
Vermutlich hatte Cal die Nacht in dem Haus verbracht, das die drei Frauen in der Stadt gemietet hatten. Da Fox sich Hals über Kopf in die sexy Brünette Layla Darnell verliebt hatte, hielt er sich bestimmt auch dort auf, oder aber in der Wohnung über seiner Anwaltskanzlei. Auf jeden Fall waren sie in der Nähe, und wenn irgendetwas geschah, brauchten sie noch nicht einmal ein Telefon, um sich zu verständigen, denn Fox konnte telepathisch kommunizieren.
Gage setzte den Kaffee auf und trat auf die Terrasse.
Typisch Cal, dachte er, sein Haus genau an den Rand des Walds zu bauen, in dem ihr Leben auf den Kopf gestellt worden war. Aber so war Cal eben - er lief nicht weg, sondern hielt stand. Und es war ja auch besonders schön hier. Die grünen Wälder, die im ersten Sonnenlicht schimmerten, boten ein Bild der Ruhe und des Friedens - wenn man es nicht besser wusste. Auf dem Abhang vor dem Haus blühten Sträucher und Zierbäume, und am Fuß des Hügels plätscherte ein Bach.
Zu Cal passte das alles wunderbar, aber Gage würde in so viel ländlicher Ruhe durchdrehen.
Er ging wieder in die Küche, schenkte sich Kaffee ein und trank ihn heiß und schwarz. Mit einer zweiten Tasse ging er nach oben, als er geduscht und angezogen war, war er zu unruhig, um noch länger zu bleiben. Er nahm die Autoschlüssel und eilte hinaus. Er würde zu seinen Freunden fahren und vielleicht später noch einen kleinen Ausflug nach Atlantic City machen.
Es war eine ruhige Fahrt, Hollow war eigentlich auch ein ruhiger Ort. Nur die Vorbereitungen für die jährliche Memorial Day Parade, das Feuerwerk am vierten Juli, waren in vollem Gange. Und dann war da natürlich der Wahnsinn, der sich alle sieben Jahre im Juli über der Stadt ausbreitete.
Gage fuhr durch eine Allee, neben der der Bach floss. Dann öffnete sich der Blick auf Hügel, ferne Berge und einen zartblauen Sommerhimmel. Er fühlte sich hier nicht zu Hause, weder auf dem Land noch in der kleinen Stadt. Wenn er Pech hatte, würde er hier sterben, aber selbst das würde die Gegend nicht zu seiner Heimat machen. Außerdem baute er darauf, dass er, seine Freunde und die drei Frauen nicht nur überleben, sondern den Dämon auch besiegen würden. Und dann wäre es mit diesen schrecklichen Ereignissen ein für alle Mal vorbei.
Er fuhr am Qwik Mart vorbei und erreichte die ersten Häuser und Läden an der Main. Fox’ Truck stand vor dem Haus, in dem sich sowohl seine Wohnung als auch seine Kanzlei befanden. Der Coffee Shop und Ma’s Pantry waren bereits geöffnet. Aus der Bäckerei trat
gerade eine hochschwangere Frau mit einem Kleinkind im Schlepptau, das hinter ihr her trödelte.
Da war der leere Geschenkladen, den Layla gemietet hatte, um dort eine Modeboutique zu eröffnen, eine Idee, die Gage mit einem Kopfschütteln quittierte.
Rasch warf er einen Blick auf das Bowl-a-Rama, eine Institution im Ort und Cals Erbe. Dann blickte er wieder weg. Früher einmal hatte er mit seinem Vater über dem Bowling-Center gewohnt. Es hatte nach Alkohol und Zigaretten gestunken, und er hatte in ständiger Angst vor Prügeln gelebt.
Bill Turner wohnte immer noch da, arbeitete immer noch im Bowling-Center, und angeblich war er seit fünf Jahren trocken. Gage war es scheißegal, solange der alte Mann sich von ihm fernhielt. Beim Gedanken daran schnürte es ihm die Kehle zu, und er zwang sich, an etwas
Weitere Kostenlose Bücher