Morgenlied - Roman
Folter, um uns zu zerbrechen.« Quinn streichelte Cybil über die Haare. »Aber wir lassen uns nicht zerbrechen.«
»Nein, wir lassen uns nicht zerbrechen.« Cybil streckte die Hand aus, genau wie die Männer unten in der Küche legten auch die beiden anderen Frauen ihre Hände darauf.
Cybil zog sich an, und als sie sich zurechtmachte, schwor sie sich, dass sie sich nicht zum Opfer machen lassen würde. Sie hörte Stimmengemurmel aus dem Büro, als sie aus dem Schlafzimmer trat. Noch nicht, dachte sie. Dazu war sie noch nicht bereit. Leise ging sie die Treppe hinunter. Vielleicht wenn sie noch eine Kanne Tee getrunken hatte.
In der Küche füllte sie frisches Wasser in den Kessel. Durch das Fenster über der Spüle sah sie Gage, der alleine auf der Veranda stand. Ihr erster Impuls war, zurückzuweichen und sich zu verstecken, aber das war auch keine Lösung. Entschlossen ging sie hinaus.
Er drehte sich um und sah sie an. In seinen Augen standen Wut und Hilflosigkeit.
»Wahrscheinlich klingt nichts, was ich jetzt sage,
auch nur im Entferntesten richtig. Ich dachte, du willst mich vielleicht nicht hierhaben, aber ich wollte nicht fahren, bevor ich sicher war... ach, ich weiß nicht.«
»So unrecht hast du gar nicht«, erwiderte sie. »Ein Teil von mir hat schon gehofft, dass du nicht mehr hier bist, damit ich nicht mit dir darüber reden muss.«
»Das musst du auch nicht.«
»Mir gefällt dieser Teil von mir aber nicht«, sagte sie. »Lass es uns hinter uns bringen. Er hat mich auf eine Weise angegriffen, die für jede Frau ein Alptraum ist. Er hat mich den Horror spüren lassen, der Hester Deale in den Wahnsinn getrieben hat.«
»Ich hätte auf ihn losgehen sollen.«
»Und mich allein da stehen lassen? Ich war völlig wehrlos und außer mir vor Entsetzen. Ich konnte ihn nicht aufhalten, aber das ist nicht meine Schuld. Du hast mich dort weggebracht, dadurch hast du ihm Einhalt geboten. Du hast mich verteidigt, als ich es selbst nicht konnte. Dafür danke ich dir.«
»Ich will keinen...«
»Das weiß ich«, unterbrach sie ihn. »Gage, wenn einer von uns Schuldgefühle wegen des Vorfalls bekommt, dann hat er einen Sieg errungen. Also lassen wir es lieber.«
»Okay.«
Er würde sich trotzdem zumindest eine Zeitlang schuldig fühlen, das wusste sie. »Würde es unsere nüchterne, reife Beziehung sehr komplizieren, wenn du mich einfach eine Weile in den Arm nehmen würdest?«
Vorsichtig legte er die Arme um sie, als ob er eine
kostbare, zerbrechliche Kristallvase halten würde. Als sie jedoch seufzend den Kopf an seine Schulter lehnte, bröckelte seine mühsame Selbstbeherrschung, und er zog sie fest an sich. »Ach, Cybil. Cybil.«
»Wenn wir ihn vernichten«, sagte sie mit fester Stimme, »und er kommt in einer Gestalt mit einem Schwanz, dann werde ich ihn persönlich kastrieren.«
Er gab ihr einen Kuss auf die Haare. Kompliziert war gar kein Ausdruck für die Gefühle, die in ihm aufstiegen, dachte er. Aber das war ihm im Moment völlig gleichgültig.
Damit nicht alle auf Zehenspitzen um sie herumschlichen, erklärte Cybil, arbeiten zu wollen. Das kleine Büro im ersten Stock war zwar viel zu klein für sechs Personen, aber sie musste zugeben, dass es ihr ein Gefühl der Sicherheit gab.
»Gage hat ein weiteres Muster für die Orte des Geschehens herausgefunden«, begann sie. »Es ergibt sich aus dem Muster, über das wir vorher geredet haben. Das Bowling-Center zum Beispiel. Dort hat zwar die erste Infizierung stattgefunden, und es hat auch zahlreiche Zwischenfälle gegeben, aber es ist nie wirklich beschädigt worden. Kein Feuer, kein Vandalismus.«
Cal nickte. »Stimmt. Ein paar Prügeleien, aber das meiste ist außerhalb passiert.«
»Dieses Haus«, fuhr Cybil fort. »Zwischenfälle, seit wir eingezogen sind, vielleicht auch vorher schon, aber keine Todesfälle, keine Brände. Die alte Bibliothek.« Sie blickte Fox an. »Ich weiß, dass du dort jemanden
verloren hast, der dir etwas bedeutet hat, aber abgesehen von Carlys Tod gibt es auch dort keine größeren Zwischenfälle. Und das Gebäude selbst hat nie Schaden genommen. Auch noch ein paar andere Orte, wie zum Beispiel die Farm von Fox’ Eltern oder Cals Elternhaus, haben sich als Sicherheitszonen erwiesen. Auch das Gebäude, in dem sich deine Kanzlei und deine Wohnung befinden, Fox. Der Dämon kann zwar hinein, aber nicht physisch. Er kann dort nur Illusionen erschaffen und nichts Reales tun. Und auch die während der Sieben infizierten
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