Morgenlied - Roman
Hornissen aus den Blüten kamen und zu summen begannen.
»Du hattest dir schlimm die Knie aufgeschlagen, und ich musste dich tragen, obwohl du schon so schwer warst. Das war zu viel für mich.«
Sie breitete die Arme aus, und Blut färbte das weiße Kleid rot. Selbst die Rosen weinten, als die Hornissen sie umschwärmten. »Nur wenige Tage später kamen dann das Blut und die Schmerzen. Von dir, Gage.«
»Das ist eine Lüge.« Plötzlich stand Cybil neben ihm. »Du bist eine Lüge. Gage, das ist nicht deine Mutter.«
»Ich weiß.«
»Sie ist auch nicht mehr so hübsch jetzt«, sagte der Dämon. »Willst du sie sehen?«
Das weiße Kleid hing in grauen Fetzen um das verfaulte Fleisch. Würmer krochen durch die leeren Augenhöhlen,
als schließlich nur noch das Skelett zu sehen war.
»Wie ist es mit dir?«, sagte er zu Cybil. »Willst du Daddy sehen?«
Die Knochen verwandelten sich in einen Mann mit blicklosen Augen und charmantem Grinsen. »Da ist ja meine Prinzessin! Komm, gib Daddy einen Kuss!«
»Noch mehr Lügen!«
»Oh, ich kann nicht sehen. Ich kann nicht sehen, was für ein wertloses Stück Scheiße ich bin.« Er lachte dröhnend. »Ich habe den Tod dir vorgezogen.« Hornissen krabbelten aus seinen Mundwinkeln. »Der Tod war besser als deine ständige, unablässige Liebe. Ich musste nicht zweimal darüber nachdenken...« Er tat so, als hätte er eine Pistole in der Hand und würde auf seinen Kopf zielen. Blut und Gehirn spritzten aus dem Schädel.
»Das ist die Wahrheit, nicht wahr? Erinnerst du dich, du Luder? Ich warte auf euch. Auf euch beide. Ihr werdet brennen. Alle werden sie brennen.«
Als Gage aufwachte, umklammerte er Cybils Hand. Sie blickte ihn besorgt an.
»Bist du okay?«
Sie nickte, wich aber nicht von seiner Seite, als er sich aufsetzte. Die Morgendämmerung erfüllte das Zimmer mit ihrem grauen Licht.
»Das waren sie nicht«, stieß sie hervor. »Das waren sie nicht. Es war nicht die Wahrheit.«
»Nein.« Er ergriff erneut ihre Hand. »Wie hast du es geschafft, in meinen Traum zu kommen?«
»Ich weiß nicht. Ich konnte dich sehen und hören,
aber zuerst war ich noch weit weg und hatte nichts damit zu tun, so als ob ich einen Film sehe. Dann war ich auf einmal drin.« Cybil schüttelte den Kopf. »Ich war so wütend, weil ich dachte, du glaubst das, was du siehst.«
»Nein, ich wusste es von Anfang an. Er hat mich nur einmal hereingelegt«, murmelte Gage.
»Du hast nur gespielt, dass du es glaubst.« Cybil schloss für einen Moment lang die Augen. »Du bist gut.«
»Er will wissen, was wir in der Hand haben. Und er hat uns mehr preisgegeben als wir ihm.«
»Ja. Unter anderem, dass wir noch Zeit haben.« Sie setzte sich ebenfalls auf. »Wie stark er auch sein mag, mit der wirklichen Show muss er warten bis zum Siebten.«
»Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für unseren Bluff. Er soll glauben, dass wir mehr in der Hand haben, als wir tatsächlich haben.«
»Und wie machen wir das?«
Gage stand auf, trat an die Kommode und öffnete eine Schublade. »Mit einem Köder.«
Cybil starrte den Blutstein an. »Wir müssen ihn an einem sicheren Ort aufbewahren. Du darfst ihn nicht einfach so in der Gegend... Warte mal. Lass mal sehen.«
Gage warf ihn ihr zu.
»Das ist nicht unser Blutstein.«
»Nein. Ich habe ihn vor ein paar Tagen in einem Laden für Halbedelsteine gekauft. Aber eine Minute lang bist du darauf hereingefallen.«
»Er hat die gleiche Größe, wenn auch nicht ganz die gleiche Form. Möglicherweise hat er auch Macht, Gage.
Bei meinen Recherchen habe ich herausgefunden, dass alle Blutsteine Teil des Alphasteins waren.«
»Es ist nicht unserer. Nicht der, der ihm Sorgen macht. Es lohnt sich vielleicht herauszufinden, wie groß seine Sorgen sind und was er bereit ist zu tun, um ihn in die Finger zu bekommen.«
»Und zu sehen, wie wütend er wird, wenn er entdeckt, dass es der falsche Stein ist.«
»Wertvolle Erkenntnisse. Er hat unsere Schmerzen gegen uns verwendet, und jetzt zahlen wir es ihm heim. Der Blutstein hat Dent drei Jahrhunderte lang geholfen, den Dämon festzuhalten. Das wird eine ziemliche Enttäuschung für ihn.«
»Okay. Wie legt man einen Dämon herein?«
»Ich habe da ein paar Ideen.«
Sie hatte auch welche, aber dazu müsste sie Wege beschreiten, die sie nicht beschreiten wollte. Also schwieg sie und hörte Gage zu.
Zwei Stunden später stürmte Cybil aus Cals Hintertür. Wütend wirbelte sie herum, als Gage hinter ihr herkam. »Du hast nicht
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