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Morgenlied - Roman

Morgenlied - Roman

Titel: Morgenlied - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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eben nichts geheim.«
    »Doch, ein bisschen schon. Ist alles in Ordnung?«

    »Ich sitze nicht im Gefängnis, und Napper arbeitet nicht mehr für die hiesige Polizei.«
    »Beides gute Nachrichten.« Sie legte den Kopf schräg. »Es ist schwer zu sagen, wie sauer du eigentlich bist.«
    »Mittlerweile nicht mehr allzu sehr. Aber als er dabei war, hätte ich ihn am liebsten in Grund und Boden geprügelt. Bei ihm fällt es mir schwer, diesem Vergnügen zu widerstehen. Aber...«
    »Ein Mann, der sich unter Kontrolle hat, hat bessere Chancen zu gewinnen.«
    »So ungefähr.«
    »Nun, diesen Kampf hast du gewonnen. Kommst du herein oder fährst du nur vorbei?«
    Fahr nach Hause, sagte Gage sich. »Kriegt man denn hier was zu essen?«
    »Möglich. Du hast es dir wohl verdient.«
    Als sie sich abwandte, ergriff Gage sie am Arm. »Ich wollte heute eigentlich gar nicht herkommen. Ich weiß nicht, warum ich es doch getan habe.«
    »Wegen des Essens?«
    Er zog sie an sich und küsste sie mit einem Hunger, der nichts mit Essen zu tun hatte. »Ich weiß nicht, was das ist mit dir und mir. Und ich weiß auch nicht, ob es mir gefällt.«
    »Da stimmen wir zumindest überein, weil es mir genauso geht.«
    »Wenn wir Mitte Juli noch leben, bin ich weg.«
    »Ich auch.«
    »Dann ist es ja gut.«
    »Okay. Also keine Verpflichtungen.« Aber sie fuhr
ihm liebevoll durch die Haare und küsste ihn noch einmal. »Gage, es gibt Wichtigeres als unsere Geschichte, worüber wir uns Sorgen machen sollten.«
    »Ich lüge Frauen eben nicht gerne an, und ich führe sie auch nicht gerne an der Nase herum.«
    »Das weiß ich. Ich werde auch nicht gerne angelogen, aber ich habe sowieso die Neigung, mir meine Richtung selbst auszusuchen. Möchtest du also hereinkommen und etwas essen?«
    »Ja. Ja, gerne.«

13
    Er stellte Blumen auf das Grab seiner Mutter, und eine schmale Hand kam aus der Erde und dem Gras, um sie entgegenzunehmen. Das Herz schlug Gage bis zum Hals, als er im Sonnenschein auf dem stillen Friedhof stand. In unschuldiges Weiß gekleidet stieg sie hübsch und blass aus dem Grab und umklammerte die Blumen wie eine Braut den Hochzeitsstrauß.
    Hatten sie sie in Weiß beerdigt? Er wusste es nicht.
    »Du hast mir Gänseblümchen, Butterblumen und Veilchen gebracht, die im Sommer Farbe in unser kleines Haus am Hügel brachten.«
    Er hatte einen Kloß im Hals. »Ich erinnere mich.«
    »Ja?« Sie roch an den Rosen, die rot wie Blut vor ihrem weißen Kleid leuchteten. »Man weiß nie, an was
kleine Jungen sich erinnern und was sie vergessen. Wir sind immer im Wald spazieren gegangen, weißt du das auch noch?«
    »Ja.«
    »Heute stehen dort Häuser, wo wir damals spazieren gegangen sind. Wir können hier ein bisschen gehen.«
    Ihre Röcke bauschten sich, als sie ein paar Schritte machte. »Es ist nur noch so wenig Zeit«, sagte sie. »Ich hatte Angst, du würdest nicht mehr wiederkommen nach dem, was beim letzten Mal passiert ist.« Sie blickte ihn an. »Ich konnte ihn nicht aufhalten. Er ist sehr stark und wird immer stärker.«
    »Das weiß ich auch.«
    »Ich bin stolz auf dich, weil du so tapfer standhältst. Was auch immer passiert, du sollst wissen, dass ich stolz auf dich bin. Wenn... wenn du scheiterst, warte ich auf dich. Du brauchst keine Angst zu haben.«
    »Er nährt sich von Angst.«
    Wieder blickte sie ihn an. Eine schwarze Hornisse krabbelte aus den zarten Blütenblättern einer Rose, aber sie sah nur ihn an. »Er nährt sich von vielem. Er hatte eine Ewigkeit Zeit, daran zu arbeiten. Wenn ihr ihn aufhalten könntet...«
    »Das werden wir.«
    »Wie? Es sind nur noch wenige Wochen, so wenig Zeit. Was könnt ihr dieses Mal anders machen als die letzten Male? Was habt ihr vor?«
    »Was wir tun müssen.«
    »Ihr sucht immer noch nach Antworten, und dabei läuft euch die Zeit davon.« Ihr Lächeln war sanft. Eine
zweite Hornisse krabbelte aus einer Blüte und dann eine dritte. »Du warst immer schon ein tapferer, eigensinniger Junge. All die Jahre musste dein Vater dich bestrafen.«
    »Musste?«
    »Was blieb ihm denn anderes übrig? Kannst du dich nicht mehr erinnern, was du getan hast?«
    »Was habe ich getan?«
    »Du hast mich und deine Schwester getötet. Wir sind durch die Wiesen spazieren gegangen, und du bist gelaufen. Ich habe dir gesagt, du sollst nicht so schnell laufen, aber du hast nicht gehorcht und bist hingefallen. Du hast so bitterlich geweint, du armer kleiner Junge.« Ihr Lächeln wurde immer strahlender, während immer mehr

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