Morgenlied - Roman
herumlaufen.« Fox blickte seinen Vater an. »Komm, Dad, ich kenne euch doch. Nicht jeder ist ehrlich und vertrauenswürdig.«
»Du meinst, es gibt tatsächlich unehrliche Menschen auf der Welt, die nicht in der Politik sind?« Brian zog die Augenbrauen hoch. »Demnächst willst du mir noch erzählen, dass es keinen Osterhasen gibt.«
»Schließ wenigstens nachts ab. Nur jetzt, ja?«
»Jim meint, in den nächsten Tagen kommen die ersten Leute«, antwortete Brian.
Fox gab es auf. Seine Eltern machten sowieso, was sie wollten. »Hat er eine Ahnung, wie viele es ungefähr werden?«
»Mindestens zweihundert. Die Leute hören auf Jim. Eventuell kommen sogar noch mehr.«
»Ich werde euch so viel helfen wie möglich...«
»Mach dir darüber keine Gedanken. Wir kümmern uns schon um alles. Pass lieber auf dich auf, du bist mein einziger ältester Sohn.«
»Das ist wohl wahr.« Er umarmte seinen Vater. »Bis später dann.«
Durch den Sommerregen lief er zu seinem Truck. Eine heiße Dusche, trockene Klamotten, ein Bier, dachte er. In dieser Reihenfolge. Vielleicht konnte er ja Layla überreden, mit ihm zu duschen. Er startete den Truck und fuhr rückwärts am Pick-up seines Bruders vorbei, um auf die Straße abzubiegen.
Hoffentlich hatten Gage und Cybil Glück bei ihrer gemeinsamen Vision, dachte er. Die Atmosphäre war düsterer geworden, und über der Stadt lagen Schatten, die nichts mit schlechtem Wetter zu tun hatten. Nur noch ein paar Antworten, dachte er. Nur noch ein paar Puzzleteilchen. Mehr brauchten sie nicht.
Er bemerkte die Scheinwerfer hinter sich, als er in die nächste Kurve bog. Die Scheibenwischer wischten über die Windschutzscheibe, und Stone Sour rockte im Radio. Fox dachte an die heiße Dusche, während er im
Takt zur Musik auf das Lenkrad klopfte. Auf einmal fing der Motor an zu spucken.
»Ah, komm! Du warst gerade erst in der Inspektion!« Der Truck wurde langsamer, und Fox fuhr an den Straßenrand. Er zog das Handy aus der Tasche und fluchte, als er sah, dass er kein Netz hatte.
Dunkelheit umgab ihn, als er die Fahrertür öffnete und in den Regen hinaustrat.
Im Wohnzimmer saßen Cybil und Gage sich auf dem Fußboden gegenüber und nahmen sich an den Händen. »Wir sollten versuchen, uns auf euch drei zu konzentrieren«, schlug Cybil vor. »Und auf den Blutstein. Also, ihr drei und dann der Stein.«
»Einen Versuch ist es wert. Bereit?«
Sie nickte und begann, tief und gleichmäßig zu atmen. Zuerst sah sie Gage. Sie konzentrierte sich auf das, was sie in seinem Gesicht, seinen Augen, seinen Händen lesen konnte. Weiter ging es mit Cal, den sie im Kopf neben Gage stellte. Schließlich wandte sie sich Fox zu.
Brüder, dachte sie. Blutsbrüder. Männer, die füreinander einstanden, aneinander glaubten, einander liebten.
Das Trommeln des Regens wurde heftiger. Es dröhnte in ihren Ohren. Eine dunkle Straße, Regen. Scheinwerfer, die den nassen Asphalt in schwarzes Glas verwandelten. Zwei Männer, die sich gegenüberstanden. Für den Bruchteil einer Sekunde konnte sie ganz deutlich Fox’ Gesicht erkennen. Und sie sah den Lauf der Pistole, die auf ihn gerichtet war.
Dann fiel sie so rasend schnell wieder in die Realität zurück, dass ihr Atem in keuchenden Stößen kam. Wie von ferne hörte sie Gages Stimme.
»Das ist Fox. Er ist in Schwierigkeiten. Wir müssen zu ihm.«
Cybil war schwindlig, als sie sich auf die Knie hockte. Layla packte Gage am Arm. »Wo? Was ist los? Ich komme mit euch.«
»Nein, du bleibst hier. Los, komm«, sagte er zu Cal.
»Er hat recht. Lass sie gehen.« Cybil hielt Layla fest. »Ich weiß nicht, wie viel Zeit noch bleibt.«
»Ich kann ihn finden. Ich kann ihn finden.« Laylas Augen wurden dunkel und glasig. »Er ist ganz in der Nähe. Nur ein paar Kilometer von hier... Er ist auf dem Heimweg zu uns. Die erste Kurve auf der White Rock Road. Beeilt euch! Es ist Napper. Er hat eine Pistole.«
Fox zog die Schultern hoch, um sich vor dem Regen zu schützen, und öffnete die Motorhaube. Er war ein guter Schreiner, konnte gut mit Holz umgehen, aber von Motoren verstand er nicht allzu viel.
Als das Auto hielt und Napper ausstieg, wusste er sofort, was los war. Er konnte natürlich weglaufen. Aber das war nicht seine Art. Er hob den Kopf und blickte Napper entgegen.
»Du hast wohl Probleme, was?«
»Sieht so aus.« Fox sah die Pistole zwar nicht, die Napper in der Hand hielt, aber er spürte sie. »Wie viel Zucker hast du gebraucht?«
»Anscheinend
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