Morgenlied - Roman
Augen. »Wir haben dich getötet.«
»Quatsch. Haben wir ihn vernichtet, Cybil? Haben wir ihn dadurch zerstört, dass ich den Blutstein in ihn hereingebracht habe?«
»Ich weiß nicht genau...« Er packte sie an den Schultern, und sie schloss die Augen, um sich zu konzentrieren. »Ja. Von dem Stein war nichts mehr übrig. Du hast ihn in die Hölle zurückgeschickt.«
Er strahlte sie an. »Jetzt wissen wir, was wir machen müssen.«
»Das kannst du doch nicht ernst meinen. Er hat dich getötet!«
»Wir haben Fox tot am Straßenrand liegen sehen.
Und jetzt liegt er gerade auf der unbequemen Ausziehcouch und schläft wie ein Baby oder vögelt mit Layla. Du redest doch immer so gerne vom Potential.«
»Keiner von uns wird zulassen, dass du das tust.«
»Keiner von euch trifft Entscheidungen für mich.«
»Warum musst du es denn unbedingt tun?«
»Es ist ein Spiel.« Gage zuckte mit den Schultern. »Und das ist mein Job. Entspann dich, Süße.« Er streichelte ihr versonnen über den Arm. »Wir haben es doch bis hierher geschafft. Wir arbeiten den Plan noch ein bisschen aus, betrachten alles noch mal aus verschiedenen Gesichtspunkten. Aber jetzt schlafen wir erst mal.«
»Gage.«
»Wir schlafen eine Nacht darüber und diskutieren morgen noch einmal.«
Aber Gage hatte seine Entscheidung bereits getroffen. Und er wusste auch, dass Cybil in der Dunkelheit wach neben ihm lag.
17
Am Morgen erzählte er alles den anderen. Er verschwieg nichts. Dann trank er seinen Kaffee, während seine Freunde um ihn herum sich die Köpfe heißredeten. Wenn einer der anderen vorgeschlagen hätte, sich ohne Fallschirm in das Maul der Hölle zu stürzen, hätte
er nicht anders reagiert, dachte Gage. Aber es war keiner der anderen, und dafür gab es einen guten Grund.
»Wir ziehen Strohhalme.« Fox stand auf und steckte die Hände in die Taschen. »Wir drei. Wer den kürzesten zieht, muss gehen.«
»Entschuldige mal.« Quinn stach mit dem Finger auf ihn ein. »Wir sind zu sechst. Wir ziehen alle Strohhalme.«
»Sechs und was Kleines.« Cal schüttelte den Kopf. »Du bist schwanger, du gehst auf keinen Fall.«
»Bevor wir hier über blöde Strohhalme diskutieren, sollten wir erst einmal nachdenken«, warf Cybil ein. »Wir werden auf keinen Fall einfach sagen, einer von uns muss sterben. Wer sollte das denn sein? Keiner von uns will jemanden für das Ganze opfern.«
»Ich stimme mit Cybil überein. Wir müssen einen anderen Weg finden.« Layla rieb über Fox’ Arm, um ihn zu beruhigen. »Der Blutstein ist eine Waffe, und anscheinend die wichtigste, die wir besitzen. Sie muss in Twisse hinein. Wie bekommen wir sie hinein?«
»Mit einem Geschoss«, überlegte Cal. »Wir könnten ja etwas bauen.«
»Eine Steinschleuder? Ein Katapult?«, fragte Gage. »Eine Kanone? Es geht nicht nur darum, den Stein in Twisse hineinzubekommen, er muss dorthin gebracht werden. Er muss dem Bastard in den Hals gesteckt werden. Es geht um Blut - unser Blut.«
»Dann müssen wir doch Strohhalme ziehen.« Cal beugte sich vor. »Wir waren immer zu dritt beteiligt. Du kannst nicht alleine entscheiden.«
»Das habe ich ja auch gar nicht. Es ist einfach so.«
»Warum denn dann gerade du? Nenn mir den Grund.«
»Ich bin an der Reihe. So einfach ist das. Du hast ihm letzten Winter ein Messer hineingejagt und damit gezeigt, dass wir ihn verletzen können. Zwei Monate später hat Fox demonstriert, dass wir ihm einen Tritt in den Arsch verpassen können und es trotzdem überleben, und deshalb bin ich jetzt dran.«
Er wandte sich an Cybil. »Wir wissen doch beide, was wir gesehen und gefühlt haben. Und wenn wir zurückblicken, haben wir es doch alle kommen sehen. Ich habe ja die Zukunftsvisionen nicht ohne Grund bekommen.«
»Ach, damit du keine Zukunft hast, oder was?«
Gage blickte Cal an. »Die Stadt hat eine Zukunft. Ich spiele bloß die Karten, die ich bekommen habe.«
Cal rieb sich den Nacken. »Ich kann zwar nicht behaupten, dass ich da einer Meinung mit dir bin, aber ich würde sagen, wir sollten langsam darüber nachdenken, wie du das machen kannst, ohne zu sterben.«
»Das finde ich auch.«
»Wir ziehen dich heraus«, schlug Fox vor. »Vielleicht können wir dich ja da herausziehen, dir ein Seil um den Bauch binden oder so.« Er blickte Cal an. »Was meinst du?«
»Das können wir uns überlegen.«
»Wenn wir Twisse dazu bekämen, eine bestimmte Gestalt anzunehmen«, warf Layla ein. »Als Junge, als Hund oder Mann, dann könnten wir ihm
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