Morgenrötes Krieger
glaube nicht. Das, was du bist, dein Wesen, deine Art, ist nicht der Grund. Aber du bist schon zu alt, du kennst zu viele Wörter. Man muß damit anfangen, bevor man zu sehr auf Wörter festgelegt ist. Sehr früh. In jungen Jahren, wenn man noch kaum laufen kann. Und sie – die Ler? Niemals. Sie haben nicht den Geist dafür – sie können sich nicht gehenlassen. Du änderst mich auf dein eigenes Leben hin, wie du es mir schon sagtest und zeigtest, und indem ich lerne und begreife, werde ich dies hier verlieren. Nach ein paar Jahren werde ich nicht mehr in der Lage sein, ihn zu benutzen – er wird nur noch ein Drahtgeflecht sein. Sei nicht traurig! Ich will es so, andernfalls wäre ich nicht mit dir mitgekommen. Seit ich bei dir bin, brauche ich keine Geschichten mehr, denn ich lebe und erlebe eine, die weit mehr ist als alle, die man hierin sehen kann.“
Sie blickte hinüber zu Hatha. „Bei ihnen hatten wir Zeit, eine Zeit, die wir eine Illusion nannten. Es mußte so sein, um die Geschichtensammler überhaupt benutzen zu können. Zeitlosigkeit – oder es klappt nicht. Dies ist ein weiterer Grund, warum du ihn nicht benutzen kannst. Du, Han, glaubst, daß alles miteinander verbunden ist, daß das eine aus dem anderen hervorgeht. Sie – Liszendir – glaubt, daß die Dinge in sich selber ruhen. Beides ist falsch.“
Han fiel aus allen Wolken. Dieses Mädchen hier, das noch vor wenigen Wochen ein Haustier war, diskutierte nun in aller Seelenruhe das Problem des Raum-Zeit-Kontinuums und verwarf es in der Sprache einer Achtjährigen.
„Ich bin anderer Meinung und werde diese auch nicht ändern“, sagte Liszendir. „Sie meint, daß die Kausalität eine Illusion der Zeit sei, die freie Wahl eine Illusion der Unwissenheit und die Zeit selber eine Illusion der … äh … Ausdehnung ist vielleicht das beste Wort.“
„Ja, ja, du verstehst!“ rief sie aus. „Genauso ist es. Sie bewegt sich nicht. Mir fehlen die Worte. Wir bewegen uns hier drinnen, in unserem Geiste.“
„Von mir aus könnt ihr dieser Zukunftsdeuterin und Hellseherin soviel glauben wie ihr wollt“, spottete Hatha. „Ich jedenfalls habe sie immer gescheucht, sobald sie sich im Lager herumgedrückt haben. Alles Blödsinn! Sie ist ein Klesh. Sie weiß nichts.“
Das Mädchen drehte sich zu ihm um und fuhr ihn mit einer Stimme voller Gift und Galle an: „Nur weil ich jenes weiß, das du in deinem Stumpfsinn als ein Nichts bezeichnest, weil ich dies hier benutzen kann und all deine Ränke und Pläne durchschaue! Ein höheres Volk, das sich Haustiere hält. Wie töricht! Deine Haustiere stehen höher als du, Haustierhalter! Und das, was du zu wissen glaubst, ist ein Nichts, bloßer Plunder, Bruchstücke, Scherben eines Glases, das nie ein Ganzes ist, mit dem du niemals Wasser schöpfen kannst. Es hat nichts mit Magie zu tun, nichts mit Hellseherei oder Prophetic Es ist nur ein Mittel, das mir hilft zu sehen … das, was ist; das, was war, und das, was sein wird. Willst du wissen, was ich noch gesehen habe? Daß du den Sonnenaufgang über Morgenröte nicht mehr erleben wirst – das war’s, was ich gesehen habe.“
Hatha wich zurück, ganz im Gegensatz zu dem, was er gerade gesagt hatte. „Bleibe mir vom Leib, Zlat-Hexe!“
„Ich tue dir nichts! Du wirst es selber tun!“ Sie war ärgerlich und trotz ihrer geringen Körpergröße und dem offensichtlichen Mangel an irgendeiner Waffe plötzlich zu einer gefährlichen Gestalt geworden, zu etwas, das sich jedweder Kontrolle zu entziehen schien. Han berührte die weiche, mädchenhafte Haut ihrer Schulter; unter dem Druck seiner vertrauten Hand beruhigte sie sich.
„Warte“, sagte er. „Verschwende es nicht an ihn. Laß ihn seiner Wege gehen. Wenn du den Geschichtensammler unbedingt noch einmal benutzen willst, dann dafür, um mir noch eine weitere Geschichte zu erzählen. Auch er wird sie sehen wollen.“
Sie drehte sich um und fragte ruhig: „Was ist es?“
„Das helle Ding, der Stern. Erzähle mir seine Geschichte und wo wir darin vorkommen. Ich will dir die Anfange zeigen.“
„Nicht noch einmal. Ich kann ihn nach alledem nicht noch einmal benutzen. Ich habe ihn heute schon zu oft benutzt. Er macht mir Angst. Laß mich erzählen, wie er benutzt wird. Nun, wenn man eine Geschichte über einen bestimmten Ort, eine bestimmte Person, zu einer bestimmten Zeit machen will, so braucht man viele Anfänge, viele Bewegungsänderungen, viele Stellungen, bevor er antwortet. Je spezieller es
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