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Morgenrötes Krieger

Morgenrötes Krieger

Titel: Morgenrötes Krieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. A. Foster
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ist, um so mehr muß ich eingeben, um so weniger gibt er mir zurück. Um ein Sandkorn fallen sehen zu können, auf einer bestimmten Stelle, zu einer bestimmten Zeit, würde ich Jahre brauchen, vielleicht mehr. Und wer wollte es schon sehen? Andererseits, wenn ich fragen wollte: ‚Was ist der Sinn des Lebens?’, so gibt es keine Anfänge. Ich brauche ihn nur zu spannen und hineinzuschauen. Viele Anfänge – kurze Geschichte; wenig Anfänge – lange Geschichte. Die letztgenannte ist die längste von allen; sie endet nie, sie dauert ewig. Und da es keine Zeit gibt, bist du dort gefangen, wo dir auch keine Illusion mehr hilft. Deshalb stellen wir diese Frage nie. Ihre Antwort nimmt dich für immer gefangen. Dein Geist ist verloren. Du kannst nicht mehr zurück – und niemand kann dich dort herausholen.“
    „Wieder einmal diese irrationalen Größen“, fügte Liszendir hinzu. „Die Realitäten, die dieses Gerät symbolisiert, sind allesamt irrationale Größen – einmalig, unwiederholbar. Aber in ihrem System hat sie einen Weg gefunden, an beliebigen Punkten abzubrechen, abgesehen von einigen speziellen Fragen. Ohne diesen Abbruch müßtest du den Gedanken zu Ende denken, da er endlos ist. Ich verstehe, warum es tödlich sein kann. Klar, daß ich ihn niemals benutzen kann, noch daran denken würde, es je zu versuchen.“
    Usteyin nickte zustimmend und wandte sich erwartungsvoll den Instrumentenbrettern zu. Han leitete die Programmsequenz ein: eine komplette, auf allen Instrumenten und Anzeigen wiedergegebene Datenabfolge zur Sonne von Morgenröte. Er konnte nicht verstehen, wie sie in dem, was sie da vor sich sah, einen sinnvollen Zusammenhang erkennen konnte, denn vieles wurde in einer kodifizierten Symbolsprache wiedergegeben, die ihr völlig fremd und unbekannt sein mußte. Aber andererseits sah Usteyin vielleicht, wie sie es schon im Zusammenhang mit ihrem Geschichtensammler erklärt hatte, nicht die Daten als solche, sondern nur Gestaltmuster von Abläufen, Vektoren, Linien und Schnittpunkten, wobei sie ihre eigenen Symbole auf diese speziellen Formen anwandte. Jedenfalls schien sie keinerlei Probleme damit zu haben.
    „Noch einmal, bitte.“
    Er ließ das Programm noch einmal ablaufen. Ja! Nun war er sich sicher. Dies war in der Tat die Art und Weise, wie sie die Dinge sah, wahrscheinlich die bestmöglichste, sah man davon ab, daß sie weder verbal noch symbolisch im Sinne seines eigenen Symbolverständnisses war und folglich auch jeder Erklärungsversuch ihrerseits genauso unmöglich war wie der eines Zweijährigen hinsichtlich seiner Art zu gehen.
    „Genug. Ich kann es jetzt machen. Ich brauche Licht, viel Licht. Kannst du das Fenster heller machen, mir mehr Tageslicht geben? Dies ist eine schwierige Struktur, ich brauche viel Licht dafür. Licht spielt darin eine große Rolle. Es kontrolliert die Genauigkeit und das Bewegungsmaß.“ Han korrigierte den Bildschirm, behielt die Spannbreite des Lichteinfalls bei, reduzierte aber die Filtration, wobei er gleichzeitig das Schiff so drehte, daß der Stern im Zentrum des Bildschirms zur Ruhe kam. Usteyin war schon beschäftigt. Sie sagte geistesabwesend zu Han: „Ja, so ist es richtig, genau richtig …“ Ihre Stimme wurde undeutlicher, sie murmelte noch etwas, mehr zu sich selber, ging völlig auf in der Handhabung ihres Geschichtensammlers. Das Licht der Sonne durchflutete den Kontrollraum, verschlang alle Farben und rückte alles in ein Bild scharfkonturierter Schwarzweißkontraste. Und mittendrin war eine kleine Hexe mit brennend weißer Haut und kosmisch schwarzen Haaren, eine silbrig-glitzernde Miniatur-Galaxis in der Hand, den Körper im Winkel von genau neunzig Grad zur Lichtquelle gewandt, die Augen konzentriert auf einen Punkt gerichtet, den Mund leicht geöffnet. Sie vollzog eine lange Zeit mit ihrer freien Hand die Eingabefiguren, bewegte dabei gelegentlich stumm die Lippen, als würde sie Zaubersprüche murmeln. Han konnte an ihren Lippen nichts ablesen. Dann spannte sie ihr Gerät. Er nahm eine Bewegung in dessen Innerem wahr. Etwas sprang hoch, erzitterte und kam in einer neuen Konfiguration zur Ruhe. Usteyin hustete, löschte das Ganze schüttelnd mit einer kurzen Handbewegung und schaute schnell beiseite. Han verdunkelte den Bildschirm, und Usteyin, einem Schlafwandler gleich, klappte den Geschichtensammler sorgfältig zusammen und verstaute ihn an seinem Platz in der kleinen Tasche. Sie stand da und sagte kein Wort. Sie sah benommen aus.

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