Morgenroetes Krieger
ich wohl von dir gelernt haben.
Du hast völlig richtig gehandelt. Du weißt gewiß auch, daß du nicht belohnt wurdest, sondern daß man dich auf die Probe stellen wollte. Mit deinem Verhalten hast du Hatha dermaßen beeindruckt, daß wir nun mehr Bew e gungsfreiheit haben.“
„Liszen, ich habe nicht vergessen …“ Als er ihren Liebes-Namen nannte, sah er einen Schatten über ihr G e sicht huschen.
„Auch ich nicht, noch werde ich es je vergessen. Aber du weißt, wir können nicht zusammenbleiben, weißt auch, daß ich mich eines Tages mit anderen verweben muß. Es ist mein Wunsch und mein Bedürfnis; selbst als du ganz in meinem Herzen warst, war mir stets klar, was ich würde tun müssen. Ja, sogar dein Name war ein Omen. Er bedeutet ‚Dauer’, im Sinne jener Kraft des Wassers, die die Gefühle regiert und lenkt. Jetzt kann ich es dir ja sagen. Du kennst die Ler inzwischen gut genug, und ich muß Dinge wie diese nicht länger im dunkeln lassen. Und sie? Es liegt auf der Hand, auch wenn du in solchen Dingen nicht bewandert bist. Schau ihre Haa r farbe: Sie ist rot. Sie ist mächtig und stark im Element der Luft; man spürt diese Ausstrahlung. Sie verkörpert den Geist, der die Gewalt der Ereignisse und den For t gang der Dinge regiert. Ich bin Liszendir-das-Feuer, ein Geschöpf des Willens, bei ihr aber ist dieser Geist so stark, daß sie mich wie eine Kerzenflamme zum Verl ö schen bringen könnte. Sie ist klein und zerbrechlich, aber sie trägt die Last des Universums, das sich hinter ihr au f tut.
Nun denn, Han, du weißt, was mit mir geschieht und geschehen muß. Du wußtest es schon, lange bevor du mich fragtest, ob Ler überhaupt küssen. Würdest du vie l leicht draußen vor dem yos meiner Webe hocken und den Mond anbellen? Wohl kaum. Und genausowenig würde ich es bei dir tun. Wenn ich dir bei deiner schweren Au f gabe helfen kann, so will ich es tun. Verlange es ruhig von mir, denn das, was zwischen uns bestand, war hodh, und glaube mir, wir werden uns nachher näher sein als Eltern und Kinder. Hast du Feinde, so locke sie in die Nacht, und ich werde Hände voller Feuer über sie ko m men lassen. Und sollten deine Lieben schwach werden, so will ich sie wärmen mit meinem Herzen – so wie ich einst dich wärmte. All dies ist jenseits von dem, was man Liebe und Sex nennt.“
Sie drehte sich um und ging.
Han wandte sich Usteyin zu und schaute sie lange an. Er meinte, in Liszendirs Rede einen beinahe religiösen Zug entdeckt zu haben, doch es war ein unterschwelliger Sinn darin, etwas, das man trotz aller rationaler Überl e gungen nicht abstreiten konnte. Endlich ergriff Usteyin das Wort. Es war das erste Mal, daß sie ihn direkt und vertraulich ansprach. Ihre Stimme war gedämpft und ha t te einen leicht kehligen Klang.
„Wer ist die Frau?“
„Sie kam mit mir hierher – aus einer anderen Welt.“
„Gehörst du ihr?“
„Nein, wir waren beide wild.“ Er mußte dieses Wort gebrauchen. Für „frei“ gab es kein anderes in der entart e ten Ler-Single-Sprache auf Morgenröte.
„Ich habe große Furcht vor ihr. Die Frauen sind gra u sam. Einerseits ist sie warmherzig – wie ich sehen konnte – und hat die Erfahrung der Liebe, andererseits aber ist sie kalt wie Eis, wie der Wind des Südens, wie die Dunke l heit, die von dort kommt. Sie kam noch vor dir zum Platz des Zeigens. Ich dachte, sie käme von weit her. Sie b e trachtete mich mit Härte, mit Blicken wie Peitschenhi e be.“
„Usteyin, was willst du?“
„Wollen? Ich verstehe nicht.“
„Wünsche, Ehrgeiz, Bedürfnisse! Bevor du in dieser Ausstellung warst.“ Er machte eine Pause. „Pläne, Hof f nungen.“
„Ich … will ein wenig Ehre, damit ich mich paaren darf. Wenn nicht, dann eine Art Zuhause, wo es Leute gibt, die mich gut behandeln, die Herzenswärme haben und mich beschützen.“ Sie unterbrach sich und dachte nach. „Aber ich weiß aus dem Verhalten jener Leute, die darüber entscheiden, wer den ersten Platz gewinnt, daß ich nicht gut genug bin.“
„Ist das alles?“
„Alles? Gibt es noch mehr? Um dieses fremde Ding ‚Hoffnung’ haben zu können, muß man entweder dem Volk angehören oder wild sein. Ich bin beides nicht. Ich dachte, daß das Leben, wie es sich bisher entwickelt ha t te, gut und richtig ist. Nun aber hat man es anders b e stimmt. Es gibt keine Vergangenheit, keine Zukunft. All das sind Nicht-reale-Dinge, in die nur nicht-wilde G e schöpfe verwickelt sind.“
„Sie sagten mir, daß
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