Morgenrot
wissenden Lächeln.
»Lecker«, sagte das schmächtige Geschöpf kaum hörbar. Trotzdem kicherte der Hofstaat im Chor, so dass es Lea eiskalt den Rücken herunterlief. In diesem Moment begriff sie, wem sie dort gegenübersaß. Ein prüfender Blick in Pis zeitloses Gesicht verriet Lea, dass sie einen Dämon vor sich hatte.
Der Gedanke, lediglich eine Armlänge von einer unberechenbaren Kreatur entfernt zu sitzen, ließ sie hysterisch kichern, was Pi mit einem äußerst interessierten Miene bedachte.Während Leas eben noch schockgefrorene Glieder anfingen zu kribbeln und anschließend zu zittern, flüsterte ihr eine unbekannte Stimme zu, dass es besser wäre, ihren Widerstand endlich aufzugeben. Warum sich nicht von dieser hilflosen und verletzlichen Hülle abnabeln und in Sicherheit bringen, solange es Gelegenheit dazu gab? Nach all den Jahren der Furcht war sie noch nie so erschöpft gewesen wie in diesem Augenblick. Sollte der Dämon doch seinen verdammten Tempel haben!
Doch bevor Lea sich ganz und gar selbst aufgeben konnte, geriet die Oberfläche des Bettes in Bewegung: Adam hatte sich hinter sie gesetzt und mit der flachen Hand ihre vor Angst geweiteten Augen geschlossen, die an Pis mysteriösem Lächeln gebannt hängen geblieben waren. Mit einer kräftigen Bewegung zog er sie wie ein kleines Kind auf seinen Schoß, wobei sich ihre Wange gegen seine Brust schmiegte. Mit beiden Armen hielt er sie umfangen und streichelte beruhigend ihren Rücken.
Adams körperliche Nähe und das rhythmische Streicheln befreiten Lea langsam von dem Bann.Während sie sich mehr und mehr entspannte, zwang sie sich, die Worte der geflüsterten Unterhaltung zwischen Adam und Pi zu begreifen.
»Wirklich, das war ein äußerst gelungener Auftritt.« Pis Kompliment klang zynisch. »Kein Gast, der es mit eigenen Augen gesehen hat, würde jemals vermuten, dass sie nur dein Schoßhündchen, ein albernes Spielzeug, ist. Man könnte schwören, dass da echte Leidenschaft mit im Spiel ist... Obwohl ich zugeben muss, dass ich einen Moment lang befürchte habe, du würdest sie zerreißen, anstatt sie nur in den Armen zu halten. Du solltest mehr Zeit mit der süßen Lea verbringen, das würde deinen Jagdtrieb vielleicht etwas eindämmen.«
»Das halte ich für keine gute Idee«, erwiderte Adam gereizt.
»Wie auch immer - du solltest dich jetzt besser mit ihr zurückziehen. Ihre Starre löst sich langsam, wenn ich mich nicht irre. Wenn ihr fort seid, können die Gäste außerdem besser über euch tratschen. Und das ist es doch, was du willst, nicht wahr?«
Adam hob Lea hoch und setzte sie erst ein paar Schritte vom Himmelbett entfernt wieder ab. Als Lea einen Blick über die Schulter zurückwarf, hatte sich der Ring der Gäste wieder geschlossen, und das Himmelbett dahinter war verschwunden. Das Herzstück des Festes war für sie plötzlich unsichtbar geworden.
Sie schwankte, doch Adam legte ihr einen Arm um die Schultern und bahnte ihnen mit entschlossenem Gesichtsausdruck einen Weg durch die Menschenmenge. Sie ließen die Feier hinter sich, hasteten durch einen dämmrigen Gang, der zu einem Fuhrpark führte. Wortlos half Adam ihr auf den Beifahrersitz eines englischen Wagens, und kaum war das Tor weit genug geöffnet, schoss das Auto los.
10. Im Morgenlicht
Mit fahrigen Bewegungen versuchte Lea, den Schlüssel ins Schloss zu ihrer Wohnung zu stecken. In ihrem Inneren herrschte ein heilloses Chaos. Sollte sie sofort die Nerven verlieren oder doch besser ein Pokerface aufsetzen und ein paar knallharte Fragen stellen? Einfach ausflippen und wild um sich schlagen? Oder sich zu einer Kugel zusammenrollen und darauf hoffen, dass sich alles von selbst zum Guten wenden würde?
Letzteres schien so verlockend, dass sie Adam kampflos den Schlüsselbund überließ, damit er aufschloss. Die Tür schwang auf, und sie betrat schweigend das Dunkel des Flurs, ohne sich um ihren Begleiter zu scheren. Ihr immer noch zitternder Körper wollte Lea in die Küche lotsen, wo eine angebrochene Flasche Chianti auf der Anrichte stand. Aber sie marschierte geradewegs ins Schlafzimmer und ließ sich der Länge nach aufs Bett fallen.
Das Gesicht so tief ins Kissen vergraben, dass sie kaum noch Luft bekam, lauschte sie in die Leere hinein, die sich endlich in ihrem Inneren auszubreiten begann. Sie war erschöpft und verstört. Alles in ihr weigerte sich, auch nur eine Sekunde lang über das Erlebte nachzudenken. Selbst Adams Anwesenheit war ihr gleichgültig.
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