Morgenrot
einen der Toastfetzen in den Mund steckte. Augenblicklich kehrte Leben in seine Augen zurück. Lea gönnte sich eine Portion Schadenfreude, während Adam - sichtlich angeekelt -würgend schluckte.
»Ich hoffe, du hast nicht vor, mit meinem Blut nachzuspülen.«
Statt einer Antwort schenkte Adam ihr lediglich einen humorlosen Blick, der ihr deutlich machte, dass weitere Neckereien die Situation kaum entschärfen würden. Nervös nippte sie am Kaffee, damit ihr Mund etwas Unverfängliches zu tun bekam. Doch lange hielt sie das Schweigen nicht aus, zu sehr peinigte sie die Erinnerung an die letzte Nacht. Deshalb beschloss sie, mit einer unverfänglichen Frage zu beginnen: »Wer ist Pi?«
Eine Zeit lang ließ Adam die Frage im Raum stehen und schnipste Krümel quer über die spiegelglatte Tischplatte. Schließlich lockerten sich seine Schultern, und er ließ sich gegen die Rückenlehne des Stuhls sinken. »Pi ist einer von uns, wie du ja selbst herausgefunden hast.
Wahrscheinlich gehört er schon länger als viele andere dazu ...«
»Du sagst er- ist Pi nun doch männlich?«, unterbrach sie ihn.
Adam legte den Kopf schief und schaute sie prüfend an, bis Lea sich mit roten Wangen erneut dem Kaffeebecher widmete. »Ich würde es so ausdrücken, dass er sich mir gegenüber männlich verhält - deshalb er. Wahrscheinlich denkt Pi, es wäre passender. Keine Ahnung, warum. Jedenfalls hat Pi so ziemlich überall seine Finger mit im Spiel, wie du gestern auf dem Fest ja bestens anhand der bunten Meute beobachten konntest.Wenn man seit einer halben Ewigkeit inmitten derselben Stadt nistet, reichen die Verbindungen weit. Und die eigenen Interessen können beliebig aufgefächert werden, wenn man unsterblich ist und niemals schläft.«
Unwillkürlich hielt Adam inne.
Den Gedanken, der ihm so zu schaffen machte, wollte er Lea vorenthalten. Obwohl sie es kaum verstehen konnte, wollte sie ihn nicht weiter bedrängen und fragte stattdessen: »Wenn Pi lediglich geschäftstüchtig ist, was will er, sie, es dann von dir?«
»Was Pi will, hm ...?« Es war offensichtlich, dass Adam Zeit schinden wollte, um seine Gedanken zu sortieren. Seine Fingerspitzen klopften in einem Rhythmus gegen die Tischkante, als wären sie ein Trommelwirbel auf dem Weg in die Schlacht.
»Der Grund für unsere Zusammenarbeit liegt weiter zurück«, fuhr Adam schließlich fort. Seine Stimme klang ruhig, dennoch spürte Lea, wie er um jedes einzelne Wort rang. »Etienne hat mich damals bei sich aufgenommen, weil er eine Bedrohung empfand. Zwar schwebte ihm keineswegs das Ende vor, das ihn schließlich ereilte. Er wird nicht damit gerechnet haben, dass sein ehemaliger Untergebener Adalbert jahrelang unter seiner Zurückweisung litt und nur auf den richtigen Zeitpunkt wartete, um Rache zu nehmen. Aber Etienne wünschte sich jemanden in seiner Nähe, der sich entschlossener zur Wehr setzen konnte als er selbst.«
Ein trauriges Lächeln schlich sich auf Adams Gesicht, doch schon im nächsten Moment wurde er sich dessen bewusst und verscheuchte es, als handele es sich um eine unangebrachte Schwäche. »Etienne und meine Verbindung war bestimmt höchst ungewöhnlich, aber sie funktionierte. Etienne fühlte sich trotz der vielen Menschen, die ihn umgaben, einsam. Und ich ... ich wusste vor lauter Zerrissenheit nicht, wohin mit mir, und fühlte mich in seiner Nähe geborgen. Er war so etwas wie ein Vater, der seinem rebellischen Sohn die lange Leine lässt.« Erstockte. »Überraschenderweise vermochten wir beide einander etwas zu geben: Freundschaft. Eigentlich gibt es so etwas in unserer Welt nicht, aber wahrscheinlich hat uns beide die Suche nach dem Menschen in uns zusammengeschweißt. Das war mehr, als ich mir jemals erhofft hatte. Zumal Hoffnung keinen besonderen Stellenwert in meiner Daseinsform genießt.«
Während Adam redete, rieb Lea unter der Tischplatte verborgen unentwegt ihre immer feuchter werdenden Hände aneinander. Sie hatte oft über die Beziehung zwischen den zwei ungleichen Männern nachgedacht. Dass sie die beiden letztendlich nicht nur auseinandergebracht hatte, sondern in Adams Augen auch für Etiennes Vernichtung verantwortlich war, versetzte ihr einen qualvollen Stich. Er würde sie für diese Schuld noch bitter bezahlen lassen, da war sie sich sicher.
»Ich würde alles dafür geben, um Adalbert in die Finger zu bekommen«, fuhr Adam fort. »Leider ist er seit jener Nacht samt seinem KumpanMaiberg und Etiennes Überresten spurlos
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