Morgenrot
Nicht einmal, als sie sein Gewicht auf dem Bett spürte, konnte sie die bleierne Schwere abstreifen. Lea fühlte seine Hand sanft auf ihrem Nacken, dann schlief sie ein.
Sonnenlicht durchflutete das schmale Zimmer, in dem Leas Bett stand. Bei dem weiß lackierten Metallgestell, das sie vor einigen Jahren auf dem Flohmarkt erstanden hatte, drohten an einigen Stellen die Schweißnähte zu brechen. An den Wänden hingen nicht sonderlich wählerisch angebrachte Rahmen mit Rosenmotiven, Erbstücke ihrer Mutter, die niemals Berührungsängste mit Kitsch verspürt hatte. In einer hell beschienenen Ecke, wo Staubflocken im Morgenlicht durch die Luft tanzten, stand ein altersschwacher Schaukelstuhl, auf dessen Kissen die Katze döste.
Normalerweise konnte Lea bei Helligkeit nur schwerlich schlafen, aber heute hatte ihr Körper gnädigerweise einmal eine Ausnahme gemacht. Nun jedoch streckte die Sonne ihre Finger über das Bett aus, so dass es unter der Decke zunehmend heißer wurde. Verschlafen drehte sie sich auf den Rücken und strampelte die Decke zur Seite. Ihre erhitzte Haut zog sich sofort mit einem Kribbeln zusammen, dennoch genoss sie die kühle Luft. Mit den Handflächen rieb sie sich übers Gesicht.
Langsam richtete sie sich auf und streckte die Arme ausgiebig in die Höhe, da geriet plötzlich die Matratze in Bewegung. Lea fuhr vor Schreck zusammen: Neben ihr lag ein verwirrt dreinschauender Adam, der sich seitlich auf den Ellbogen aufstützte. Alles an ihm war so perfekt wieimmer: die Haut makellos rein und so frisch wie nach einem Morgenspaziergang, das Haar leicht verwuschelt. Zu allem Überfluss verströmte er einen angenehmen Geruch nach Mann. Trotzdem hätte Lea schwören können, dass er gerade erst aufgewacht war. Das offen stehende Hemd war zerknittert, und die gelöste Krawatte lag zwischen ihnen auf dem Laken, als habe er sie mitten in der Nacht schlaftrunken abgestreift.
Verunsichert schaute Adam Lea an, und seine Lippen bewegten sich, als wolle er zu einer Erklärung ansetzen. Doch es kamen keine Worte.
»Ich denke, du kannst nicht schlafen?«, sprach Lea aus, was Adam offensichtlich selbst durch den Kopf ging.
»Das kann ich auch nicht«, gab er so gereizt zurück, als hätte sie ihn soeben bei etwas Unanständigem erwischt. »Ich wollte nur noch bei dir bleiben, während du schliefst, und da habe ich wohl die Zeit vergessen ...«
Sie warf ihm einen zweifelnden Blick zu, den Adam jedoch nicht bemerkte, da er sich irritiert im Zimmer umschaute, als wäre er im falschen Film aufgewacht. Das dachte sie auch, als ihr bewusst wurde, dass sie splitternackt neben einem bekleideten Adam lag. Bei dem Versuch, die Decke möglichst rasch wieder über ihren Körper zu ziehen, schlug sie reichlich unelegant mit dem Hinterkopf ins Kissen und ließ die durchgelegene Matratze vibrieren.
Großartig, jetzt sehen wir beide so aus, als wären wir in einer verfänglichen Situation überrascht worden, überlegte Lea grimmig.
Dann widmete sie sich erneut der Tatsache, kein einziges Stück Stoff am Leib zu haben. Sie konnte sich nur daran erinnern, vollkommen erschöpft aufs Bett gefallen zu sein. Zum Auskleiden hatte ihr schlicht die Kraft gefehlt. »Hätte es nicht gereicht, mir das Kleid über den Kopf zu ziehen und die Schuhe abzustreifen?«, fuhr sie Adam an.
Es dauerte einige Sekunden, bis die Worte ihn erreichten, mit denen er sich nur widerwillig auseinandersetzte. »Du riechst besser, wenn du nichts anhast«, sagte er schließlich in einem Ton, als frage sie ihn nach Lutschbonbons, während er sich mit grundlegenden Dingen wie Leben und Tod auseinandersetzte.
»Das freut mich für dich«, gab Lea unwirsch zurück. Sie schlang sich die Daunendecke mehr schlecht als recht um die Körpermitte und kletterte ungelenk über einen teilnahmslosen Adam hinweg.
Wenig später schlug sie frisch geduscht und mit Trainingshose und T-Shirt bekleidet den Weg in Richtung Küche ein, als ihr ein verstohlener Blick ins Schlafzimmer verriet, dass Adam dort immer noch auf dem Bett saß. Sie hatte bereits zwei Tassen Kaffee und Toast intus, als er schließlich die Küche betrat.
Stillschweigend setzte er sich an den Holztisch, der Leas ganzer Stolz war, da sie ihn unter Anleitung ihrer Mutter selbst als junges Mädchen an einem trüben Samstagmorgen abgeschliffen und lackiert hatte. Ohne sie oder den perfekt glänzenden Tisch zu beachten, begann er, einen Toast zu zerkrümeln. Adam war so in Gedanken versunken, dass er sich
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