Morgenrot
sind nicht sonderlich gesellig, aber wir gehen immer wieder einmal Zweckbündnisse ein.« Während Adam sprach, hob er einen Arm an, um sich den Nacken zu massieren. Lea hielt unwillkürlich den Atem an, als er sie dabei kurz streifte. »Pi zieht Personen an, die seine Nähe aus den unterschiedlichsten Gründen brauchen - so wie ich. Mit deiner Einführung wollte ich diesem ganzen Pack klarmachen, dass du tabu bist. Der Auftritt war eine reine Schutzmaßnahme. Nun, hegst du noch mehr Verdächtigungen, die ich dir ausreden kann, oder bist du jetzt endlich friedlich?«
Ehe ihr eine scharfe Entgegnung über die Lippen kommen konnte, klingelte es an der Tür. Sie zuckten beide zusammen, aber es war Lea, die als Erste ihre Sprache wiederfand: »Ich hoffe doch sehr, dass das nicht Megan ist, die dir frische Wäsche bringt.«
Als sie an ihm vorbei in Richtung Flur ging, schenkte Adam ihr ein aufgesetztes Lächeln, das wahrscheinlich bedeuten sollte: »Du kannst mich mal gern haben.« Aber auch ihm war deutlich anzumerken, dass ihm die unerwartete Störung gegen den Strich ging.
Bei Adams Anblick spitzte Nadine die mattrot geschminkten Lippen, als hätte ihr jemand eine Beleidigung an den Kopf geworfen, und ihre Nasenflügel blähten sich beim Schnauben auf wie zwei Windsegel. Demonstrativ blieb sie vor der Küchentür stehen, die Arme unter dem Prachtbusen verschränkt, und musterte Adam einmal gründlich vom Kopf bis zu den Zehenspitzen.
Lea war sich nicht sicher, was sie von dem überraschenden Besuch ihrer Freundin halten sollte. Seit dem Wiedersehen mit Adam in der Bar hatte sie Nadine nach Kräften gemieden. Da Lea als hartnäckige Handyverweigerin berüchtigt war, hatte Nadine ihr lediglich im Kommandoton vorgetragene Anweisungen auf dem Anrufbeantworter hinterlassen können, sich gefälligst umgehend zu melden. Lea hatte im Gegenzug Nadines Anrufbeantworter mit fadenscheinigen Ausreden besprochen: Wie furchtbar viel Arbeit sie im Augenblick habe, aber dass sie sich natürlich sofort melden würde, wenn sich eine Lücke im Terminkalender auftäte.
Obwohl unter den Freundinnen, die ihren Job beide sehr ernst nahmen, das unausgesprochene Gesetz galt, dass die Arbeitsstätte ein heiliees Refueium war. war Nadine daraufhin im Verlas aufgetaucht. Als Lea vom Mittagessen mit ein paar Vertriebskolleeen zurückgekehrt war, hatte ihr der Pförtner sofort vom Besuch einer äußerst aufgebrachten Frau erzählt: Nadine hatte dem armen Mann den Zeigefinger unter die Nase gehalten und ihn gewarnt, sie besser nicht mit Ausflüchten zum Besten zu halten. Bei dieser Vorstellung war Lea flau im Magen geworden.
Nadine war die einzige Freundin, die sie hatte. Außer dieser selbstbewussten Frau war es in den letzten Jahren niemandem gelungen, durch die Papierstapel durchzudringen, hinter denen sie sich versteckte. Dafür musste man schon ausgesprochen hartnäckig sein - und das war Nadine, wie sie soeben wieder einmal bewiesen hatte, indem sie unangekündigt vor ihrer Tür stand. Trotz ihrer herrischen Art hing Lea an ihr, und der Gedanke, die Freundin so sehr vor den Kopf gestoßen zu haben, dass sie sich abwenden könnte, machte ihr Angst. Immerhin war Nadine der letzte Ankerpunkt in ihrem aus den Fugen geratenen Leben.
Nach dem Tod von Leas Mutter hatte sich ihr Vater endgültig in die Arbeit gestürzt, so dass die Familienbindung nach und nach eingeschlafen war. Lea war damals zu jung und gewiss auch zu sehr in sich gekehrt gewesen, um eigenständig den Kontakt zur Verwandtschaft aufrechtzuhalten. Es hatte sich auch niemand darum geschlagen, dass trauernde und als eigensinnig verschriene Mädchen zu sich einzuladen. Aber seit ihrer Liaison mit Adam und der anschließenden Flucht konnte man nicht einmal mehr von einem Kontakt sprechen. Zwar pflegte sie einige oberflächliche Bekanntschaften, und die schmerzende Leere füllte sie, indem sie sich für die Familiengeschichten ihrer Kollegen und Autoren interessierte. Die mitleidigen Blicke, die sie deshalb verfolgten, hatte sie erfolgreich abzuschütteln gelernt. Nach wie vor machte es ihr allerdings zu schaffen, wenn ihr Gegenüber dreist genug war, sie auf die Welt außerhalb des Verlagshauses hinzuweisen. Solchen Leuten sprang Lea regelmäßig an die Kehle, wobei ihr bewusst war, dass sie ihre Dünnhäutigkeit unter dem feministischen Mäntelchen der Selbstbestimmung versteckte. In Wirklichkeit war es in den letzten Jahren schon schwer genug gewesen, die Arbeit und den Hauch von
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