Morgenrot
Privatleben unter Kontrolle zu halten, während jederzeit das Grauen über sie einbrechen konnte.
Dabei wusste Lea während der ganzen Zeit, dass ihr Leben ohne sie stattfand. Aber was hätte sie schon dagegen tun können? Mit Adams Existenz war alles unsagbar kompliziert geworden. Die unerfüllte Liebe hatte sie in die Einsamkeit flüchten lassen, und das Wissen um diesen Dämon, der die Vorstellung von einer natürlichen Ordnung ad absurdum führte, hatte sie beschmutzt. Sie hatte etwas erfahren, das sie ihren Mitmenschen entfremdete. So ähnlich musste sich ein Kind fühlen, das ganz genau wusste, dass das neben ihm hockende Monster mit dem blauen Fell real war, dennoch würde es nicht einmal seiner Mutter davon erzählen, auch wenn die Bestie ihr Maul schon bis zum Anschlag aufgerissen hätte.
Rückblickend wunderte sich Lea darüber, wie sie so lange in Angst hatte leben können, dieser undurchschaubaren Angst, die sie mehr und mehr in die Ecke gedrängt hatte. Nun, da Adam zurückgekehrt war, bekam sie allmählich eine Ahnung davon, was sich dahinter verbarg: Sie fürchtete den Dämon, die Gewalt, zu der er fähig war, wie auch die Tatsache, dass er etwas Unnatürliches darstellte. Ihr graute vor seiner Berührung, und die Gewissheit, dass er sie in Besitz nehmen wollte, kam ihr vor wie ein Fluch.Trotzdem konnte sie sich ihm nicht entziehen. Sie wurde von der Angst getrieben, ihr Herz an jemanden verschenkt zu haben, der den Kern ihres Wesens in jedem Moment zerbrechen konnte.
»Was will der Kerl hier?«
Nadines Stimme riss Lea aus ihren Gedanken. Sie war unschlüssig hinter der Freundin im Flur stehen geblieben und spähte an deren Pelzmantel vorbei. Adam hatte sich von seinem Platz beim Fenster gelöst und kam nun langsam auf sie beide zugeschlendert. Nadine wich unwillkürlich ein Stück zurück, als Adam knapp vor ihr zum Stehen kam. Ohne eine Regung in seinem Gesicht musterte er Nadine. Dann zitterten seine Nasenflügel fast unmerklich und sein Mund verzog sich zu einem kalten Lächeln. Bedrohlich nah drängte er sich an Nadine vorbei, die instinktiv die Hände zu Fäusten ballte. Kurz blieb er neben Lea stehen, dann war er auch schon zur Tür hinaus.
»Dass dieser Typ hier bei dir ist, erklärt einiges. Von wegen Arbeit ohne Ende!«, giftete Nadine los, sobald die Tür ins Schloss gefallen war. Doch Lea entging nicht das leichte Beben ihrer Schultern, das ihre Arroganz Lügen strafte.
Fügsam half sie der Freundin aus dem Mantel und bugsierte sie aufs Sofa, während diese in einem fort vor sich hin schimpfte. Als Lea schließlich mit zwei Tassen Kaffee in den Händen zurückkehrte, hatte sich Nadine eine Zigarette angesteckt und sich einigermaßen beruhigt.
»Ich gebe dir jetzt die Chance, mir das ganze Theater zu erklären.« Nadine spuckte die Worte gemeinsam mit einem Schwall grauen Rauchs heraus. »Aber wenn ich das Gefühl bekomme, dass du mich anlügst, bin ich in null Komma nichts zur Tür hinaus. Und das war's dann!«
Lea setzte sich in einen Korbsessel und legte sich eine Decke über die Beine. Die Unterhaltung mit Adam hatte sie viel Kraft gekostet, und ihr war kalt. Für einige tiefe Atemzüge schloss sie die Augen, um sich zu sammeln. Was sollte sie Nadine bloß erzählen? Kurz spielte sie mit dem Gedanken, zu schweigen und die Freundin einfach ziehen zu lassen. Das wäre wahrscheinlich auch das Beste für Nadine gewesen, nachdem Adam ihr dieses beängstigende Lächeln zugeworfen hatte. Aber im Moment war sie dazu außerstande. Niemand konnte von ihr erwarten, die einzige Freundin in ihrem Leben gerade zu diesem Zeitpunkt aufzugeben.
»Ich wollte es dir schon die ganze Zeit über erzählen, aber es ist nicht einfach«, sagte sie tonlos. »Es gibt einige ... Dinge in meiner Beziehung zu Adam, die ich dir einfach verschweigen muss. Und wie ich dich kenne, wird dir das nicht passen. Außerdem ist alles, was mit diesem Mann zusammenhängt, sehr kompliziert und unbeschreiblich schmerzhaft für mich. Ich weiß einfach nicht, wie ich dir das Ganze erzählen soll, ohne dich zu gefährden.«
»Gehört er zur Mafia?«
Obwohl Nadine die Frage ernst gemeint hatte, musste Lea darüber lachen, als hätte sie eben einen guten Witz gehört. Nachdem sie sich wieder beruhigt hatte, sagte sie: »Ja, so etwas in der Art. Können wir uns also darauf einigen, dass du mich nicht zu Tode peinigst, wenn ich etwas auslasse und es dir deshalb seltsam erscheint?«
Nadine zögerte. Ihre hohe Stirn legte sich
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