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Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Titel: Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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verlangsamte seine Geschwindigkeit an der gefährlichen Kurve beim Krämer und beschleunigte sein Tempo auf der geraden Strecke beim Spielplatz.
    Am Ende der Strecke stand eine kleine Gruppe von Jungens. Offensichtlich ein Bahnhof. Gaylord drückte Hebel hoch, zog Ventile, ließ Dampf ab und drosselte die Geschwindigkeit. Das Puffen verlangsamte sich und erstarb endlich ganz. Genau neben den Jungens kam Gaylord zum Stehen. Eine gelungene Fahrt, sagte er sich. Laut Fahrplan eine Minute zu früh.
    Niemand nahm Notiz von ihm. Alle starrten auf einen Gegenstand, den einer von ihnen in der Hand hielt. Gaylord beendete sein Dasein als Lokomotive und verwandelte sich wieder in einen neugierigen kleinen Jungen. «Laßt mich auch mal sehen», sagte er.
    Mürrisch machten sie ihm Platz. Er sah hin. Die fahle Vormittagssonne schien von Sammy Breens Hand eingefangen und brach sich in Splittern von Blau und Rot und Gelb. Gaylord blieb der Mund offen. Was er da sah, war Willies Briefbeschwerer.
    Gaylord zitterte. Er fühlte, wie seine Hand unwillkürlich emporschoß, um dieses Ding zu erwischen, von dem es abhing, ob er fertiggemacht würde oder nicht. Aber er wußte, daß es zwecklos war. Trotzdem schrie er laut: «Das gehört dir nicht. Das gehört Willie.»
    «Jetzt gehört’s mir.» Sammy Breen umschloß es mit seinen Händen.
    «Wo hast du das her?»
    «Gefunden», sagte Sammy. Er hatte kurzgeschorenes sandfarbenes Haar, einen unsteten Blick und sah bösartig aus. Seine Eltern hatten ihm obendrein beigebracht, daß er sich nichts gefallen lassen sollte, was sie sich offensichtlich hätten sparen können.
    Gaylord spürte sofort, daß nur ein einziges Argument bei Sammy zog: Geld. Aber mehr als einen Sixpence besaß er nicht. Verbittert dachte er an sein Weihnachtsgeld, das er für Süßigkeiten, Popcorn und einen Beitrag für den Tierschutzverein vergeudet hatte. «Ich geb dir dafür einen Sixpence», sagte er.
    «Sixpence!» Sammy sah empört aus. «Für eine halbe Krone kannst du’s haben.»
    Eine halbe Krone! Das war eigentlich nicht soviel. Wenn man ihm Zeit ließe, alle seine Quellen anzuzapfen, konnte er diese Summe einigermaßen leicht zusammenbringen. «Wenn du mir’s gibst, bekommst du morgen eine halbe Krone.»
    «Okay», sagte Sammy gleichgültig. «Bring mir morgen das Geld, und dann kriegst du’s morgen.»
    Aber morgen war es zu spät, bis dahin hatte man ihn fertiggemacht. «Kann ich’s nicht schon heute haben?» sagte er.
    «Nicht ohne das Geld», sagte Sammy. Plötzlich brachte David Snow zwei Shillinge und einen Sixpence zum Vorschein und erhielt dafür den Briefbeschwerer. Die Glocke ertönte, und sie gingen ins Klassenzimmer zurück. David saß da und bewunderte seinen neuerworbenen Schatz. Dann kam die Lehrerin herein. David versteckte den Schatz in seinem Pult. Der Unterricht begann.
    Gaylord war verzweifelt. Heute abend, in der Winterdämmerung, würden Bert und Willie ihm auflauern. Noch einmal durchzuckte unerträglicher Schmerz seinen Körper. Heute würde es noch schlimmer werden. Er sah die Messerklinge unmittelbar vor seinen Augen blitzen. Aber diesmal würde sie zustoßen. Diesmal würde sie gnadenlos zustechen und schneiden. Als die Glocke zur Mittagspause ertönte, blieb er sitzen. Die anderen rannten mit lautem Getöse davon. David mit ihnen. Er hatte nichts aus seinem Pult herausgenommen.
    Miss Marston sah zu Gaylord hinüber und überlegte einen Augenblick, ob sie ihn ansprechen sollte, entschied sich aber dagegen und verließ die Klasse. Gaylord blieb mit dem Briefbeschwerer und seinem Gewissen allein.
    Gaylords Gewissen war noch nicht sehr alt und reichlich unerfahren. Wie ein Fahrschüler konnte es eine gerade Strecke ganz ordentlich bewältigen. Aber auf Gefahren zu reagieren, vermochte es noch nicht. In dieser speziellen Situation warf es die Hände hoch wie ein ägyptischer Taxifahrer und rief: Allah lenkt.
    Von seinem Gewissen im Stich gelassen, öffnete Gaylord David Snows Pult. Der Briefbeschwerer lag tatsächlich noch darin.
    Gaylord ließ den Pultdeckel wieder zufallen. Er brachte es nicht fertig, zu stehlen. Aber Stehlen konnte man das eigentlich nicht nennen. Er wollte nur Willie sein Eigentum wieder zurückgeben. Er öffnete das Pult wieder.
    Aber daß David Geld dafür bezahlt hatte, komplizierte die moralische Seite der Angelegenheit.
    Aber Willie hatte das Geld nicht bekommen; folglich gehörte es noch immer ihm. Ein ganz klarer Fall.
    Gaylord wußte genau, daß der Fall

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