Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Titel: Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
Vom Netzwerk:
fertig geworden war, war bestürzt und hilflos. Sein Unterbewußtsein lehnte jeden Schneefall über fünf Zentimeter als unenglisch ab. Erdbeben und Tornados waren Ereignisse, mit denen nur Nichtengländer in ihrem ohnehin schlecht organisierten Leben fertig werden mußten. Aber nicht wir. Obwohl sie sich bitter beklagten, wurde eigentlich nichts dagegen unternommen. So etwas durfte eben nicht passieren, nicht in England. Eine Geschmacksverirrung. Nicht hinschauen, dann würde er schon verschwinden.
    Der Schnee verschwand aber keineswegs, und mindestens ein Engländer war darüber äußerst erleichtert. Gaylord, dem der kommende Montag wie das Jüngste Gericht bevorstand, schaute auf die herabtaumelnden Schneeflocken: Wenn es so weiterschneite, konnte ihn das vielleicht retten. Wenn es so weiterschneite, wären am Montag die Straßen unpassierbar. Oder Gaylord konnte wenigstens behaupten, sie seien unpassierbar.
    Prompt schoß das Thermometer am Donnerstag zehn Grad in die Höhe, der Schnee verwandelte sich in Regen und das Land in einen uferlosen Sumpf. Der matschige, schmutzige Schnee konnte gar nicht schnell genug verschwinden. Brombeersträucher und Heckenrosen zeigten ihre Dornen wie Stacheldraht auf einem verlassenen Schlachtfeld. Die schwarzen Bäume tropften vor Nässe, und schwarze Bäche unterhöhlten die verharschten Schneekrusten.
    Gaylord beobachtete das alles mit bangem Herzen. Seine Hoffnung, am Montag in Sicherheit zu Hause bleiben zu können, wurde vernichtet. Er mußte sich allein auf die bösartig lauernde Landstraße wagen, wo ihm unvermeidlich Bert und Willie begegnen würden, die Gewalttätigkeit und der Schmerz.
    Der Freitag kam, und die Sonne fraß den Schnee. Am Samstag ließ ein starker Frost den Matsch gefrieren und die Straßen trocknen. Sonntag. Mit aller Willenskraft versuchte Gaylord, den unerbittlichen Gang der Zeit aufzuhalten. Aber es ging nicht. Tickend verrannen die Minuten und Stunden.
    Schlafenszeit. Wie ein Lamm zur Schlachtbank schlich er in sein Bett und versuchte keinen seiner Verzögerungstricks, was Mummi einigermaßen beunruhigte. Er verkroch sich unter der Bettdecke. Dort war es warm und dunkel. Bis in alle Ewigkeit hätte er hier liegen mögen. Er versuchte, den Atem anzuhalten, aber das ging auch nicht. Also gut, dann würde er eben die ganze Nacht über wach bleiben; dadurch konnte er vielleicht den schrecklichen Augenblick so lange wie möglich hinauszögern.
    Er mußte aber doch eingedöst sein, denn plötzlich hörte er Mummi rufen - dabei verkrampfte sich sein Magen vor Entsetzen -, er solle aufstehen; da wußte er, daß er die süße, sanfte Nacht im Schlaf vertan hatte.
    Erschreckend munter und geschäftig kam Mummi herein. «Los, Gaylord, du kommst sonst zu spät.»
    «Ich habe Kopfschmerzen», erklärte er mit matter Stimme.
    Mummi hielt inne. «Du siehst aber wohl aus», sagte sie zweifelnd.
    «Ich bin krank», sagte Gaylord. Und so fühlte er sich auch.
    Mummi legte ihre Hand auf seine Stirn. «Ich hab bestimmt Fieber», sagte er.
    Mummi ergriff das Thermometer und steckte es ihm in den Mund. Gaylord umschloß es mit der Zunge, um dadurch die Sache günstig zu beeinflussen. Mummi wartete, während sie ihn nachdenklich betrachtete. Dann zog sie das Thermometer heraus und besah es sich. «Siebenunddreißig», sagte sie.
    «Ist das sehr schlimm?» fragte Gaylord.
    «Vollkommen normal.»
    Gaylord wedelte mit seiner Hand und schnappte nach Luft. «Mir ist aber heiß, ganz höllisch heiß.»
    «Gaylord!»
    Typisch Mummi, die eher einer kleinen Glasröhre glaubte als dem eigenen Sohn. Aber noch machte sie ein besorgtes Gesicht. «Du hast doch nicht wirklich Kopfschmerzen, oder?»
    Matt strich er sich über die Stirn: «Es ist schrecklich.»
    «Los. Steh auf!» sagte sie.
    «Aber ich bin doch krank. Ich glaube, ich hab Masern.»
    «Wenn du Masern hättest, könnte man dich vor Flecken gar nicht mehr erkennen.»
    Langsam begann er zu verzweifeln. «Die Lehrerin sagt, man kann auch Masern ohne Flecken bekommen. Das sind die schlimmsten, sagt sie.»
    Mummi setzte sich auf die Bettkante und nahm seine Hand. «Gaylord, warum willst du nicht in die Schule?»
    «Ich will ja», antwortete er wahrheitsgemäß. Das war keine Lüge. «Aber es ist doch nicht fair, hinzugehen und alle anderen anzustecken.»
    Wieder legte ihm Mummi die Hand auf die Stirn. So kühl wie eine grüne Gurke. «Hat es vielleicht mit Willie zu tun?»
    «Nein», sagte Gaylord. Willie war’s ja auch

Weitere Kostenlose Bücher