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Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Titel: Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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Sie nichts Besseres zu tun, als eine arme Witwe zu belästigen, die sich abrackert, um die Familie durchzubringen und einen Schwachkopf zu pflegen?»
    Noch niemals in seinem Leben war Paps sich so schuftig vorgekommen. Er hatte nur noch das Bedürfnis, sich zu entschuldigen, der armen Seele fünf Shilling in die Hand zu drücken, damit sie ihre Familie durchbringen konnte, und Fersengeld zu geben.
    Aber plötzlich fiel ihm Gaylord ein, der bis zum heutigen Morgen ganz allein seine Angst hatte mit sich herumtragen müssen. Er erinnerte sich an die Tränen seiner Frau. In einem blendenden Blitz der Erkenntnis wurde ihm plötzlich klar, daß es diese Gewalttätigkeit war, diese bittere, finstere Gewalttätigkeit, mit der die Menschen zu seinen Lebzeiten die süße Welt in eine einzige riesige Hölle für Millionen verwandelt hatten. Und diese Geschichte hier, das war dasselbe im kleinen. Wenn er sich damit zufriedengab, verdiente er selbst nichts anderes, als in der Hölle zu landen. Er ging zurück ins Zimmer und hieb beide Fäuste auf den Tisch. «Also, nun hören Sie mal, Sie», sagte er.
    Er blickte in Augen, deren unheimlicher Ausdruck ihn vor Entsetzen schaudern ließ. Hier klaffte ein Abgrund, den niemand - kein Priester, Arzt oder Henker - überbrücken konnte. Weder Liebe noch Freundschaft, weder Haß noch Strafe würden diesen Augen jemals irgendeine Reaktion entlocken. Jocelyn sagte: «Sie haben meinem Jungen gedroht. Und jetzt warne ich Sie. Wenn Sie ihm noch einmal zu nahe treten, hetze ich Ihnen die Polizei auf den Hals - und dann geht’s Ihnen an den Kragen.»
    Seine Stimme bebte. Er atmete erregt. Tränen der Wut stiegen ihm in die Augen. Und dabei haßte er nichts mehr, als die Selbstbeherrschung zu verlieren. Aber immer noch stand er, beide Hände auf den Tisch gepreßt, vorgebeugt da. Und immer noch starrten ihn diese ausdruckslosen Augen an. Dann verzerrten sich die bleichen, ungesunden Lippen höhnisch. «Ach, Sie können mich mal», sagte Bert Foggerty und wandte sich wieder der Lektüre der wochenalten Zeitung zu.
    Jocelyn richtete sich auf. «Ich habe Sie gewarnt», sagte er, «und ich mache ernst...» Er blieb noch einen Augenblick stehen, um seine Fassung wiederzugewinnen. Dann ging er auf die Tür zu. Mrs. Foggerty öffnete sie ihm. Die Sache war offenbar damit für sie erledigt. «Haben Sie schon mal was im Fernsehen gehabt, Mr. Pentecost?» fragte sie im Plauderton.
    «Nein.»
    «Na, vielleicht schaffen Sie’s, wenn Sie sich ordentlich anstrengen», sagte sie aufmunternd. «Im Radio kommt ja doch ’ne Menge von Ihnen, nicht wahr?»
    Er kam nach Hause. Mummi sagte: «Während du fort warst, habe ich noch etwas Neues erfahren. Erinnerst du dich an Weihnachten, als Gaylord so elend aussah? Einer von diesen Foggerty-Lümmels hatte ihm damals den Arm verrenkt.»
    Paps starrte sie an. «O mein Gott», sagte er. Er gehörte zu denen, die sich eine spezielle Hölle für alle wünschten, die kleinen Jungens den Arm verrenkten.
    Sie sah ihn besorgt an. «Liebling, so wütend habe ich dich ja noch nie gesehen.»
    «Ich bin auch noch niemals so wütend gewesen. So ein Untermensch wagt es, Gaylord anzufassen.» Er flog noch am ganzen Körper vor Erregung.
    «Hör mal», sagte sie. «Du kannst jetzt nur eins tun. Mach einen langen Spaziergang, und lauf dir den Ärger vom Hals. Dann setzen wir uns in Ruhe zusammen und du erzählst mir alles von Mrs. Foggerty.»
    «Ja», sagte er. «Ja. May, du bist ein Engel.» Er stürmte davon und hieb mit seinem Stock auf das nasse, graue Gras ein. Liebste May! - Wie hatte er sie in jenem besinnlichen Augenblick am Weihnachtsmorgen genannt? Weib, Mutter, Freund, Geliebte: Heute war sie die Mutter, die ihr wütendes Kind fortschickte, damit es allein mit sich ins reine kam und Frieden fand. Aber woher wußte sie nur immer so untrüglich, in welcher Rolle er sie gerade brauchte? Wie konnte sie nur so klar in sein Inneres blicken?
    Er war noch wie besessen von dem Gedanken an Schmerz und Gewalttätigkeit und Grausamkeit. Ein Sadist, der einem Jungen den Arm verrenkt. Auschwitz, Sharpeville, es war immer dasselbe, nur Gradunterschiede. Er eilte mit großen Schritten dahin und versuchte die Antwort auf eine Frage zu finden, für die es keine Antwort gab. Aber langsam beruhigten ihn der Rhythmus seiner Schritte, die freundliche, holperige Straße unter seinen Füßen und der graue, stille, tote Wintertag, so daß er, als er wieder nach Hause kam, zwar keine Antworten

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