Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung
hinter ihm her wäre.»
Rose hatte sich etwas beruhigt. «Ich will ihn nie mehr wiedersehen - so lange ich lebe.»
May drückte den Kopf der noch immer Schluchzenden an ihre Brust. «Ich kann dich so gut verstehen. Du hast etwas Besseres verdient, mein Liebes.»
«Nein, hab ich nicht. Ich bin der häßlichste Mensch auf der ganzen Welt.»
«Rede doch keinen Unsinn», sagte May scharf. Roses Tränen flössen wieder. Du lieber Gott, dachte May. Wie kann man jemand trösten, wenn es keinen Trost gibt? Sie umfaßte Rose noch inniger. «Warum ziehst du dich nicht aus und legst dich ins Bett. Und ich bringe dir eine schöne Tasse Tee.»
«Tee! Das ist wohl euer Allheilmittel.»
Weil es ja auch kein anderes gibt, dachte May. Die Welt stürzt ein, und das einzige, was einem bleibt, ist eine Tasse Tee und sich langsam unter den Trümmern wieder hervorzuarbeiten. «Rose, Liebes», sagte sie mit großer Zärtlichkeit. «Du darfst dich nicht so gehenlassen.»
«Warum denn nicht?» sagte Rose. Sie saß jetzt auf dem Bettrand. Ihre herabhängenden Schultern machten den Eindruck, als würden sie nie wieder die Last des Lebens tragen können. Die Tür öffnete sich. Becky trat ein.
Rose starrte ihr entgegen. May sagte kühl: «Was willst du denn hier, Becky?»
Becky sagte: «Ich möchte mit Rose sprechen. Allein.»
«Laß mich in Ruhe», sagte Rose.
«Hat das nicht bis später Zeit, Herrgott noch mal», sagte May.
«Ich will aber jetzt mit ihr sprechen.» Becky zeigte sich von einer neuen Seite, energisch und bestimmt. Einen Augenblick sahen sie und May sich an. Dann ging May hinaus und schloß die Tür hinter sich.
«Laß mich in Ruhe», wiederholte Rose. Sie saß da und lehnte den Kopf gegen das Bettgestell und starrte ihre Schwester voller Haß, Verachtung und unendlicher Müdigkeit an.
Becky sagte: «Ich wollte mich mit Peter treffen. Aber gerade, als es anfing zu regnen, lief ich Bobs in die Arme. Wir mußten uns einfach irgendwo unterstellen.»
Rose starrte sie weiterhin schweigend an. Becky sagte: «Das war überhaupt nicht vorgesehen. Es war reiner Zufall... und sicher auch charakterlos von uns beiden.»
Rose starrte sie weiter an. «Bist du fertig?» fragte sie endlich.
«Ich möchte, daß du mir verzeihst. Wenn auch nicht jetzt, so vielleicht doch später.»
Langsam, ganz langsam löste sich der starre Blick von Beckys Gesicht und wandte sich zum Fenster. Nach einiger Zeit drehte Becky sich um und verließ das Zimmer. Rose schien es nicht zu bemerken.
17
«Ein bißchen im Heu herumknutschen, schön und gut. Aber hier Aufruhr und allgemeine Verwirrung stiften, ist doch etwas anderes.» Opa war auf den Barrikaden.
Becky auch. «Wir haben nicht im Heu herumgeknutscht. Drück dich bloß nicht so grob aus, Vater. Er hat mich geküßt, das hat ihm Spaß gemacht und mir auch...»
«Und Rose hat es wohl auch Spaß gemacht, was?» sagte May.
«Halt du dich bitte heraus», sagten beide wie aus einem Munde.
«Den Teufel werd ich tun. Ich finde, man hat sich gegen Rose ganz abscheulich benommen.»
Opa haßte es, wenn sich Dritte in einen Streit einmischten. Er konzentrierte seine Feuerkraft gern auf einen Gegner. «May, sei still», schnauzte er.
«Übrigens», sagte Becky. «Durch wen hat es Rose überhaupt erfahren? Von Gaylord.»
«Aha. Nun ist wohl auch noch Gaylord an allem schuld.»
Die Debatte ging weiter. Paps, der sich gerade mit einem kniffligen schriftstellerischen Problem herumschlug, war den ganzen Tag verbissen durch die Gegend gelaufen und hatte zudem längere Zeit in einer Scheune vor dem Unwetter Zuflucht nehmen müssen. Jetzt kam er nach Hause, ganz auf Abendessen, Hausschuhe und ein gemütliches Pfeifchen eingestellt. Aber als er das Wohnzimmer betrat, wurde ihm klar, daß ihm diese Genüsse nicht beschieden waren. Vater marschierte auf dem Oberdeck herum, bereit, die gesamte Mannschaft in Eisen legen zu lassen. Paps sank das Herz. «Ist etwas passiert?» fragte er.
Opa drehte sich zu ihm um. «Und wo bist du gewesen, gerade als man dich hier brauchte?»
«Ich bin spazierengegangen», sagte Paps. «Und habe nachgedacht», fügte er als mildernden Umstand hinzu.
Opa machte kein Hehl aus seiner Verachtung für diese Tatsache. «Also, was ist hier eigentlich los?» fragte Paps.
«Ich werde dir sagen, was los ist. Unsere Becky hier hat Roses jungen Mann im Heu verführt.»
«Ach, ist das alles?» sagte Paps enttäuscht. Wenn man jedesmal einen Familienskandal machen wollte,
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