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Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Titel: Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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zu sein, meine Liebe.»
    Rose erwiderte nichts. Sie hielt ihre Augen auf die vor ihr liegende Illustrierte gesenkt. Aber alles verschwamm. Bobs war nicht erschienen, und jetzt fing auch noch die süße, sonnige, ausgeglichene May an, bissig zu werden. Das war wirklich das Letzte. Mit gesenktem Kopf saß sie da, und eine Träne fiel auf die Zeitschrift wie der erste, schwere Tropfen des heraufziehenden Gewitters.
    Aber das Zimmer war bereits viel zu düster und viel zu geladen mit Elektrizität, als daß jemand es bemerkt hätte. Gaylord war kribbelig wie ein Glas Sprudel. Na schön, wenn man ihm nicht erlaubte, vom Fenster aus zuzusehen, würde er sich wieder einmal verdrücken. Unauffällig ging er in die Küche hinüber. Ganz behutsam öffnete er die Hintertür. Und schon war er draußen, unter dem bleiernen Himmel.
    Man konnte das Gewicht der Wolken fast auf den Schultern spüren. Sie wogten und quollen schwarz und schmutzig daher. Die Vögel, die sich unter den Hecken verkrochen hatten, zwitscherten gedämpft, wie Kinder in der Kirche, die unruhig und ehrfurchtsvoll auf den Beginn des Gottesdienstes warten. Das Vieh hatte aufgehört zu grasen. Obwohl es ruhig und wiederkäuend umherstand, war es von Unruhe erfüllt. Der Fluß schimmerte stumpf wie geschmolzenes Blei. Die Landschaft am Horizont war ungewöhnlich klar, als sähe man sie durch ein Fernglas. Alles - die Bäume, der Kirchturm, die fernen Hügel - war ein wenig näher gerückt. Die Landschaft zog sich bedrohlich zusammen.
    Gaylord erschauerte genüßlich. Und überlegte, was er anstellen sollte. Zunächst einmal konnte er das hier ohne Mummi betrachten, die ihm sonst bei jedem Blitz immer die Hand vor die Augen hielt. Jede sich bietende Deckung ausnutzend, rannte er zur Scheune. Und gelangte unbemerkt in ihr schützendes Dunkel.
    In der Scheune roch es nach Kartoffeln und Heu und Brennholz, nach dem erdigen, staubigen Geruch von Jahrhunderten. Ein Ort unsäglicher Herrlichkeiten. Wenn Gaylord erwachsen war, wollte er nur noch hier leben, im süß duftenden Heu schlafen und den alten Hauklotz zu seinem Tisch machen. Er kletterte die Leiter zum Heuboden hinauf, wand sich wie eine Schlange durchs Heu und sah mit glänzenden Augen zum Scheunentor hinaus, das sich so aufregend in die Weite öffnete. Von hier aus konnte er das ganze gewitterschwangere Tal erblicken, konnte die Windungen des Flusses und das ferne, nachtschwarze Zentrum des Gewitters sehen.
    Plötzlich, noch weit fort, zuckte ein Blitz durch den Wolkenbauch und fuhr in die Erde. Das Signal zum Beginn der großen Vorstellung. Und da war auch schon der Donner genau über ihm, hämmerte und dröhnte über den ganzen Himmel, erstarb, wurde wieder lauter und verebbte schließlich weit über den Hügeln. Aber jetzt blitzte es stärker, heller, näher, ganz nah. Wie Nadeln, die in die Augen stechen. Und der Donner so nahe, als krache er einem im Kopf. Trotz seiner Angeberei fing Gaylord an, sich zu fürchten. Er hätte es allerdings nicht um die Welt zugegeben, nicht einmal sich selbst gegenüber. Und als er bemerkte, daß er auch noch Gesellschaft bekommen sollte, stieß er einen lästerlichen Fluch aus. «Gott verdammt noch mal», sagte Gaylord, als er Tante Becky, Hand in Hand mit Tante Rosies Liebhaber, auf die Scheune zurennen sah.
    Er hörte sie, kichernd und flüsternd, die Leiter heraufkommen. Er vergrub sich tief ins Heu und hielt den Atem an. Erwachsenen traute er nicht, keinem von ihnen. Und Tante Roses Liebhaber mochte er sowieso nicht sehr. Er fand ihn albern. Immer wenn er lachte, zeigte er sämtliche Zähne und sah dabei wie ein Pferd aus. Außerdem war Gaylord etwas erstaunt, daß er ihn mit Tante Becky zusammen sah. Aber er hatte es längst aufgegeben, von Erwachsenen zu erwarten, daß sie sich so benahmen, wie man es annehmen sollte. Sie brachten es immer wieder fertig, einen zu überraschen. Und schließlich fand er den Sturm viel zu interessant, um weiter auf die beiden zu achten. Jetzt fielen die ersten Tropfen; fett und schwer wie Kröten pladderten sie herab. Ganz nah hörte er Tante Beckys Stimme: «Jetzt geht’s los», keuchte sie, «das haben wir gerade noch geschafft.»
    «Es hätte mir leid getan, wenn dein hübsches Kleid naß geworden wäre», sagte Tante Roses Liebhaber. «Du siehst verdammt hübsch darin aus.»
    «Wirklich, Bobs?» Und Gaylord konnte sich das Lächeln vorstellen, mit dem sie das sagte. «Rose hat, glaube ich, wieder einen ihrer bösen

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