Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition)
Kokosnüsse, Melonen und natürlich auch Oliven und Orangen. Meine Glieder fühlen sich bei diesen abendlichen Spaziergängen wunderbar erschöpft an. Die Tage am Strand machen auf angenehme Art müde. Es ist schwer zu beschreiben, aber es gefällt mir. Hier im Sommer, wo Sol mit niemandem konkurrieren muss, ist er ganz anders. Nicht so arrogant oder vorlaut. Nein, auch er wirkt entspannt und lässt sich immer wieder etwas für mich einfallen.
An meinem letzten Abend gehe ich im kurzen Sommerkleid neben Sol durch den Olivenhain. Der Staub der trockenen Erde hat meine weißen Ballerinas ganz verdreckt, aber es stört mich nicht weiter.
»Das steht dir gut«, sagt Sol und deutet auf das weiß geblümte Kleid. »Du hast wirklich schöne Beine.« Er grinst und ich lächele zurück.
»Danke und du hast schöne Oberarme.« Einen Moment lang sehen wir uns einfach nur an, bevor wir in Gelächter ausbrechen.
»Es wäre so schön, dich hier zu haben, Maya«, sagt Sol plötzlich ernst.
»Ich weiß«, nuschele ich verlegen vor mich hin und frage mich, was ich ihm damit sagen will? Ich weiß … was ist das für eine Antwort? »Sol, du weißt, dass ich mir jede Jahreszeit ansehen werde. Ich kann frühestens etwas sagen, wenn die letzten Tage bei Nevis anbrechen.«
»Maya …«, er unterbricht sich selbst und kommt näher an mich heran. Ich weiche vor ihm zurück und stoße mit dem Rücken gegen einen Olivenbaum. Sol schließt zu mir auf und ich spüre seinen heißen Körper an meinem.
»Diese roten Haare erinnern mich an Feuer«, raunt er und senkt sein Gesicht in meinen Nacken, wo sich mir alle Härchen aufgestellt haben. »Du gehörst in die Sonne, die dein inneres Feuer anfacht.«
»Ich …«, beginne ich zu stammeln, »… ich … Sol, bitte lass das.«
Der Sommer beginnt meinen Hals zu küssen, was mich ganz unruhig werden lässt. Es fühlt sich gut an, aber irgendwie auch falsch. Ich stoße ihn von mir.
»Lass mich«, flehe ich. »Bitte.«
Ich hätte ja mit viel gerechnet, aber nicht damit, dass er wütend wird.
»Du bist die prüdeste Frau, die mir je unter die Augen gekommen ist.« Seine Augen funkeln erbost, aber irgendwie auch enttäuscht. Ich jedenfalls bin sauer.
»Da du ja schon so viele Frauen zu Gesicht bekommen hast«, zische ich erbost und lasse ihn einfach stehen. Schnellen Schrittes mache ich mich auf den Weg zurück zum Strand, wo ich mich für den Rest der Nacht in den Sand setze. Seth beobachtet mich still vom Wasser aus. Er hat nie sonderlich viel gesprochen, sicher ist er daran gewöhnt, Sol vor allem zuhören zu müssen. Im Gegensatz zu Nutty habe ich ihn nicht so gut kennengelernt, aber diese Nacht sehe ich Mitleid in seinen dunklen Augen.
7. … DEN HERBST UND DEN WINTER
Weinreben bilden sich in meinem Haar, als Gaia mich nach meiner Sommerwoche an Jesien übergibt. Sol hat sich auf dem Weg zur Grenze mehrfach entschuldigt und ich habe versucht ihm klarzumachen, dass ich nicht mehr böse bin. Wie könnte ich auch? Die haselnussbraunen Augen von Jesien erwarten mich und lassen mein Herz vor Freude schneller schlagen. Seine roten Haare stehen ihm wirr vom Kopf ab und auf seinen Lippen liegt ein süffisantes Grinsen.
»Mein Mädchen«, sagt er und öffnet seine Arme. Zu gerne lege ich mich hinein und lehne mich an ihn. Als er seine Arme um mich schlingt, habe ich zum ersten Mal seit langem das Gefühl, durchatmen zu können.
»Du bist tatsächlich gekommen«, staunt Jesien. Ich löse mich aus seiner Umarmung und boxe ihn sanft auf den Oberarm.
»Habe ich dir doch gesagt!«
»Könnte ja sein, dass du es dir anders überlegst.« Wir sehen gemeinsam zu dem Übergang, wo Gaia und Sol bereits verschwunden sind.
»Niemals«, sage ich gedankenverloren und sehe mich um. Hier sind die Blätter an den Bäumen noch größtenteils grün, aber ich kann erkennen, dass sie am Horizont golden sind und es würde mich nicht wundern, wenn sie an Nevis‘ Grenze bereits auf dem Boden verstreut lägen. Nevis …
»Ich weiß, was du denkst«, sagt Jesien mit einem Schmunzeln in der Stimme.
»Hmm«, brumme ich und frage mich, ob Nevis wohl gelegentlich zur Grenze kommt. Plötzlich legt Jesien den Arm um mich und lacht herzlich. Liebevoll, und dieses Mal ganz willkommen, küsst mich ein Mann auf die Wange. Bei Jesien macht mir die Nähe nichts aus.
»Ich freue mich so für ihn«, sagt er und klingt aufrichtig dabei.
»Willst du mich wieder damit aufziehen?«, seufze ich. »Ich entscheide erst nach
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