Morituri - Die Todgeweihten
völlig umgekrempelt worden war.
Sie schnaufte wie eine alte Dampfmaschine durch ihre große Nase und marschierte schnurstracks zum Bullenquartier, wo sie den Hauptmann in die Sache einweihen wollte. Da hatte jemand wohl einen Revierkampf zwischen zwei Departments vom Zaun gebrochen.
Skinner wusste noch nicht, dass sie ein weiterer harter Schlag erwartete. Es war kein einfacher Revierkampf, sondern ein ausgewachsener Krieg. Doch wer dahintersteckte, fand man erst heraus, als es bereits zu spät war.
Kym war jung und blond, hatte unschuldige Augen und einen nicht mehr ganz so unschuldigen Körper. Sie war eine verdorbene kleine Nummer, die sich in Aufreißerbars außerhalb ihres Heimatbezirks herumtrieb. Wenn sie sich lolitahaft die Lippen leckte, gekonnt die Hüften kreisen ließ und mit ihren knospenden Brüsten wackelte …, dann hatte sie ihren Kunden so gut wie in der Tasche – dank des Betäubungsgases und des scharfen Messers, das sie in ihrem aufreizenden Kostüm verbarg.
Kym war aber auch der Augapfel ihres Vaters und eine kleine Heldin in ihrem Bezirk. Als wohlerzogenes Kind brachte sie stets ihre gesamte Beute nach Hause zu Papa. Da er ein Abwasserinspektor auf Yelads Liste war, brachte das so einiges an lokalem Renommee ein.
Eines Abends gab es jedoch ein kleines Missverständnis. Kym wurde von ein paar Bullen aufgegabelt, die zu sehr von Narkobier zugedröhnt waren, um sie zu erkennen, also buchteten sie sie ein. Zum Leidwesen aller Beteiligten gab es für Kym keinen anderen Ausweg; sie musste vor Gericht erscheinen. Niemand wollte das, nicht einmal Tyrenne Yelads Feinde. Schließlich musste der Saft überall auf Dusable gleich süß bleiben, sonst wurde der ganze Krug schnell sauer.
Derartige Ausrutscher waren schon früher vorgekommen. Die Prozedur war die, dass man einen kleinen Prozess abzog. Die Polizisten bekamen einen kleinen Rüffel dafür, dass sie jemand so offenkundig Unschuldigen festgenommen hatten, und Kym war bald wieder zu Hause, in der liebenden Fürsorge ihres Papas und damit wieder draußen auf der Straße und hinter dem nächsten Opfer her.
Das geschah jedoch nicht. Der Richter erklärte das Kind in allen Anklagepunkten für schuldig – und verurteilte Kym streng nach dem Gesetz.
Nach dem darauf folgenden Aufschrei der Empörung, der von Kennas bevorzugtem Livie-Team ausführlich dokumentiert und ausgestrahlt wurde, verließ der Richter in aller Stille die Stadt, um sich den Annehmlichkeiten seines neu erworbenen Wohlstands zu widmen, während Tyrenne Yelad sich mit den Folgen dieses Skandals herumschlagen musste.
Avri lobte Raschid für seine inspirierte Arbeit in den Himmel. »Warte nur ab«, sagte Raschid. »Ich habe für diesen neuen Dreh noch eine ganz andere Variante.«
Der Saft wurde in einer ganzen Reihe von Schlüsselbezirken so sauer, dass er fast stockte.
Polizisten waren hinter Polizisten her. Die Banden waren hinter allem und jedem her. Geschäfte wurden ausgebombt, Joyhouses überfallen und Spielhöllen ausgeraubt. Gewalt prallte auf Gewalt, und die Unschuldigen gerieten immer mehr zwischen alle Fronten – vorausgesetzt, dass man überhaupt jemanden auf Dusable zur Kategorie der Unschuldigen zählen durfte. Den Höhepunkt bildete jedoch der Marsch der Mütter für Kym.
Zweitausend zornige Mütter aus ihrem Bezirk gingen auf die Straße. Auf riesigen Transparenten flatterte das unschuldige Profil des lieben Kindes. Man heulte und weinte und raufte sich eindrucksvoll die Haare. Kennas Livie-Teams waren mit allem dabei, was sie zu bieten hatten, brachten das Spektakel in die Wohnzimmer der Leute und wärmten den unglaublichen Vorfall für die Zuschauer zum tausendsten Mal auf. Es gab jede Menge Großaufnahmen von ihrem bestürzten Papa, der die Parade anführte. Paps sah hervorragend aus, abgefüllt mit Narkobier, die Augen rotgerändert von einigen Freispielen in einem Joyshop, in den ihn Raschids Leute geführt hatten. Er war ein Ebenbild von Gram und Sorge.
Die Frauen zogen unter schrecklichsten Verwünschungen zum Hauptquartier des Tyrenne, wo sie von einer Phalanx von Polizisten erwartet wurden. Die Vertreter von Recht und Ordnung waren in voller Straßenkampfausrüstung angetreten: Helme, Schild, Knüppel, Tränengas und chemische Keulen.
Die Frauen bauten sich vor der Polizistenkette auf und schrieen und kreischten noch lauter als zuvor. Die Livie-Teams filmten auch diese Konfrontation eifrig.
Plötzlich brach ein schwerer A-Grav-Gleiter aus
Weitere Kostenlose Bücher