Morland 01 - Die Rückkehr der Eskatay
Betrugsdezernates versetzt worden war. Lennart hatte den Dienst auf der Straße immer gemocht, obwohl er natürlich gefährlich war. Lorick war ein heißes Pflaster, besonders in den östlichen Arbeitervierteln war immer etwas los. Meist handelte es sich um Revierkämpfe zwischen den verschiedenen Boxvereinen. Mit Sport hatten diese Clubs wenig zu tun, dafür eher etwas mit organisiertem Verbrechen. Schon seit Jahren unternahm das Innenministerium alle Anstrengungen, den Sumpf aus Diebstahl, Hehlerei und Drogenhandel trockenzulegen, hatte sich aber immer am Schweigegelübde der Vereine die Zähne ausgebissen. Keiner der eingeschleusten Agenten hatte den Auftrag überlebt. Ihre Leichen waren so übel zugerichtet gewesen, dass die Familien noch nicht einmal am offenen Sarg Abschied nehmen konnten.
Aber die Gewalt auf den Straßen war nicht der einzige Grund gewesen, warum Lennart sich hatte versetzen lassen.
Es war der Schichtdienst, der seine Frau und damit Lennarts Ehe in all den Jahren zermürbt hatte. Als Silvetta das erste Mal das Wort »Scheidung« aussprach, hatte Lennart noch am selben Abend einen Antrag auf Versetzung gestellt, dem man keine vierzehn Tage später stattgab. Seitdem hatte er es also nicht mehr mit opiumsüchtigen Schlägern zu tun, sondern mit zwielichtigen Buchhaltern und verbrecherischen Geschäftsleuten. Keine sonderlich spannende Tätigkeit, aber eine mit geregelter Arbeitszeit.
Lennart zog seine Taschenuhr hervor und ließ den Deckel aufschnappen, woraufhin eine kleine, glockenhelle Melodie ertönte. Noch zehn Minuten bis zum Feierabend. Er seufzte und klappte den Deckel wieder zu. Die Melodie erstarb.
Ein wenig ratlos schaute er sich um. Was sollte er mit der verbliebenen Zeit anstellen? Er konnte hinaus in den Flur gehen und nachschauen, ob in seinem Korb eine neue Rohrpost lag. Er entschloss sich, das für den morgigen Tag aufzuheben. Was immer es an schlechten Nachrichten gab, sie konnten warten.
Er ging hinüber zum Waschbecken und füllte eine Gießkanne, um die Pflanzen auf der Fensterbank vorsichtig zu wässern. Seine Töchter hatten ihm einige wunderbar blühende Blumen geschenkt, die er sorgfältig pflegte. Mit einer Bewegung, die ihm schon in Fleisch und Blut übergegangen war, zog er seine schwarzen Ärmelschoner aus und schloss den Schreibtisch ab. Sicherheitshalber ruckelte er noch einmal an der Schublade. Dann nahm er Hut und Jacke und trat hinaus auf den Korridor, wo es wie in jeder Behörde nach Bohnerwachs und Akten roch. Lennart warf doch noch einenletzten Blick in seinen Postkorb, aber der war leer. Er wünschte seinen Kollegen einen schönen Feierabend, lochte seine Karte an der Stechuhr, die neben dem Pförtnerhäuschen am Eingang hing, und machte sich auf den Heimweg.
Hagen Lennart wohnte in einer kleinen Dienstwohnung nicht weit vom Stadtzentrum entfernt. Es war eine komfortable Bleibe mit fließend Wasser, Zentralheizung und Gasanschluss, für die er noch nicht einmal etwas bezahlen musste. Das war einer der vielen Vorteile, von denen man als Beamter im Staatsdienst profitierte, auch wenn die Bezahlung ansonsten nicht allzu hoch war. Aber er und Silvetta kamen gut über die Runden und konnten sich sogar den einen oder anderen Luxus leisten. Für heute Abend hatten sie zwei Karten für ein Konzert erstanden, das in einem der vielen kleinen Bühnen des Theaterdistrikts aufgeführt wurde. Es war das erste Mal seit über einem halben Jahr, dass er und seine Frau einen Abend ohne die Kinder verbrachten, auf die eine Nachbarin aufpassen würde.
Also hatte er für sechs Uhr einen Tisch für zwei in einem romantischen kleinen Restaurant reserviert, wo sie sich bei Kerzenschein und dezenter Musik einem köstlichen Drei-Gänge-Menü hingeben wollten. Die Vorstellung begann nicht vor acht Uhr und das Theater befand sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Alles war soweit perfekt. Lennart hatte nur Angst, dass ihnen beim Essen der Gesprächsstoff ausgehen könnte.
Noch bevor er die Wohnungstür aufschließen konnte, wurde ihm von Silvetta geöffnet.
»Guten Abend«, sagte er überrascht.
Silvetta trat stumm beiseite, um ihn hereinzulassen.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte er, als er Hut und Mantel an der Garderobe aufhängte. Ihm fiel auf, dass Maura und Melina nicht zu hören waren.
»Du hast Besuch«, sagte Silvetta kurz angebunden. »Wer ist es?«, fragte Lennart.
»Ein Herr Magnusson aus dem Ministerium.«
Er gab Silvetta einen Kuss auf die Wange.
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