Morland 01 - Die Rückkehr der Eskatay
Kopf.
»Ich würde gerne zu Diomed gehen.«
Hakon seufzte. »Deinem Pferd geht es gut. Und wenn du glaubst, in der nächsten Zeit wieder voltigieren zu können, täuschst du dich. Du musst dich wieder hinlegen.«
Nadja schüttelte Hakon ab, machte zwei taumelnde Schritte, musste sich dann an einem Tisch festhalten. »Siehtso aus, als hättest du Recht«, stöhnte sie. »Doch wenn ich noch einen Tag länger in diesem stickigen Wagen bleiben muss, werde ich verrückt.«
»Setz dich erst einmal. Ich habe eine Idee.« Ohne eine Antwort abzuwarten, kletterte Hakon in den Wagen. Kurz da rauf kam er mit einem bequemen Lehnstuhl und einer Decke zurück.
»So. Da bleibst du sitzen und hältst Hof. Es wird nicht lange dauern, bis die anderen kommen, um dich zu besuchen. Und um Diomed habe ich mich gekümmert. Jedenfalls geht es ihm deutlich besser als dir.«
Wie eine alte Frau ließ sich Nadja in den Korbsessel fallen. Hakon breitete die Decke über sie aus. »Wenn du etwas brauchst, sagst du einfach Bescheid.«
Es dauerte in der Tat nicht lange, bis die anderen Artisten Nadja ihre Aufwartung machten. Tim, der Vorarbeiter des Zirkus und mehr oder weniger heimlich in Nadja verliebt, hatte ihr einen Strauß Blumen gepflückt, den er ihr etwas verlegen in den Schoß legt. Rosie und Marguerite, die siamesischen Zwillinge, gaben ein Lied aus ihrer ladinischen Heimat zum Besten, was alleine schon für Heiterkeitsausbrüche sorgte, da die beiden zwar ein Herz und eine Seele waren, aber partout nicht singen konnten.
Hesekiel hatte mit seinen Hängebauchschweinen sogar eine kleine Nummer einstudiert, die den anderen so gut gefiel, dass sie noch für diesen Abend ins Programm genommen wurde. So defilierten alle an Nadja vorbei, und es dauerte eine geschlagene Stunde, bis jeder wieder an seiner Arbeit war. Boleslav hatte immer wieder nervös auf seineTaschenuhr geschaut, während Nadjas Mutter besorgt die Hand ihrer Tochter hielt. Hakon spürte, dass dies alles für seine Schwester überaus anstrengend war, und er fragte sich, ob sie tatsächlich an der Vorstellung teilnehmen konnte.
»Wie ich sehe, scheint das Medikament hervorragend zu wirken«, sagte auf einmal eine Stimme hinter ihnen. »Und die Nebenwirkungen halten sich auch in Grenzen.«
Hakon drehte sich um und sah Dr. Mersbeck, der in seiner Hand die unvermeidliche braune Ledertasche trug.
»Sie sind der Arzt, der mir so hervorragend geholfen hat?« Nadja streckte ihm die Hand entgegen. »Ich habe mich noch gar nicht bei Ihnen bedankt.«
»Keine Ursache. Ich bin nur noch einmal gekommen, um zu schauen, wie es Euch geht.«
»Ich kann zwar noch immer keine Bäume ausreißen, aber ich glaube, der Fortschritt ist nicht zu übersehen«, sagte Nadja lächelnd.
»Können wir für einen Moment in den Wagen gehen?«, fragte Mersbeck.
»Natürlich.« Vera ging mit Nadja voran. Hakon folgte dem Arzt und schloss die Tür hinter sich.
»Ich würde Euch gerne noch einmal abhorchen«, sagte Dr. Mersbeck und holte sein Stethoskop aus der Tasche. Nadja drehte sich um und hob ihr Hemd. »Sie brauchen mit mir aber nicht wie mit einer Prinzessin reden.« »Entschuldigung?«, fragte er verwirrt.
»Ihr und Euch. Das klingt in unseren Ohren sehr altmodisch«, versuchte Hakon zu erklären.
»Ah, ich verstehe«, sagte Dr. Mersbeck lächelnd. »Sie müssenverzeihen, ich lebe schon so lange hier in Vilgrund, dass es mir schon gar nicht mehr auffällt.«
»Wo kommen Sie eigentlich her?«, fragte Nadja. »Und was bringt Sie dazu, hier am Ende der Welt als Arzt zu praktizieren?«
»Nadja!«, sagte ihre Mutter vorwurfsvoll. »Deine Neugierde ist unhöflich.«
Dr. Mersbeck lachte. »Nein, lassen Sie nur. Ich stamme eigentlich aus Lorick und habe dort an der Universität Medizin, Physik und Chemie studiert. Als ich mein Studium abgeschlossen hatte, musste ich mir überlegen, was ich damit sollte. Ich hätte in einem der Krankenhäuser oder wissenschaftlichen Institute arbeiten können. Aber ich habe mich dann für etwas Sinnvolleres entschieden. Die medizinische Versorgung in den äußeren Provinzen ist alles andere als befriedigend und da wollte ich meinen kleinen Beitrag leisten, um etwas gegen diesen Missstand zu tun. Es war ein Zufall, dass ich ausgerechnet in Vilgrund gelandet bin.«
Hakon hatte Dr. Mersbeck bei seiner kleinen Ansprache beobachtet und war sich auf einmal sicher, dass der Arzt log. Er wusste nicht was ihn so sicher sein ließ. Die Stimme war fest gewesen, die
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