Morland 01 - Die Rückkehr der Eskatay
geht es ihr?«, fragte er besorgt.
Seine Mutter holte tief Luft und zwang sich zu einem Lächeln. »Es ist nicht besser geworden, aber verschlimmert hat es sich auch nicht.«
Hakon nickte. Seine Mutter war keine Frau, die leicht in Panik verfiel. Dazu hatten sie zu viel gesehen und zu viel erlebt. Und doch entging ihm nicht die Sorge in ihrer Stimme. Sie tupfte vorsichtig Nadjas Stirn ab. Hakon kroch wieder zurück zu seinem Vater.
»Wir sollten möglichst bald ein Lager aufschlagen. Nadja geht es nicht besser. Ihr Fieber will einfach nicht sinken.«
Boleslav zeigte auf ein Schild am Wegesrand. »Es sind nur noch fünf Meilen zu einem Ort namens Vilgrund. Hoffen wir, dass sie uns von da nicht auch wieder vertreiben.«
»Vielleicht gibt es dort einen Arzt«, sagte Hakon.
»Ja. Vielleicht. Wir werden ihn aber nicht bezahlen können«, sagte sein Vater finster. »Nun, hoffen wir das Beste.«
Eine halbe Stunde später polterten die Zirkuswagen die Hauptstraße Vilgrunds hinab. Es hatte endlich aufgehört zu regnen. Hakon beschloss, dies als gutes Zeichen zu deuten.
Vilgrund war eine Siedlung wie so viele andere, die sie auf ihrer Reise durch die Ostprovinz gesehen hatten. Die Häuser waren niedrig und hatten mit Steinen beschwerte Dächer, damit die Stürme, die im Herbst und im Frühjahr über das flache Land fegten, nicht die Dächer abdeckten. Es war ein relativ großes Dorf, das sich einen schmalen Bachlauf entlangzog. Die weitläufig gerodeten Flächen wiesen darauf hin, dass der Ort schon älter war, vielleicht sogar schon von der dritten Generation bewohnt wurde. Die Bauern schienen es in dieser Zeit zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht zu haben, denn die schindelgedeckten Häuser waren sauber herausgeputzt und reich verziert.
Boleslav zügelte das Pferd und hielt vor einem Gebäude, das der Größe und dem Uhrturm nach zu urteilen das Rathaus sein musste.
Hakon hatte gesehen, wie überall vorsichtig die Vorhänge beiseitegeschoben worden waren, um zu sehen, wer sich da ankündigte. Jetzt waren die Wagen augenblicklich von kleinen Kindern umringt, die neugierig von einem Bein auf das andere hüpften. Alle waren gut genährt und trugen sogar Schuhe an den Füßen.
Boleslav Tarkovski stieg vom Wagen und schüttelte seinennassen Mantel aus. Er wollte gerade die Treppe zum Rathaus hi naufsteigen, als die Tür aufging und ein freundlich lächelnder Mann auf sie zukam.
»Guten Tag, Herr«, sagte Boleslav und verneigte sich. Dabei stieß er Hakon in die Seite, worauf der Junge es seinem Vater nachtat. »Ich wollte fragen, ob unser Zirkus für einige Tage Rast machen darf.«
»Darf ich nach Eurem Namen fragen?«
»Oh, Verzeihung. Es war sehr unhöflich von mir, dass ich mich Ihnen nicht vorgestellt habe. Mein Name ist Boleslav Tarkovski und das ist mein Sohn Hakon.«
»Mein Name ist Helmdal«, sagte der Mann. »Ich bin der Bürgermeister von Vilgrund.«
»Dann meint das Glück es aber gut mit Ihnen. Sie stehen einer wunderbaren Stadt vor.«
»Na, nun übertreibt nicht. Wir sind eine kleine Siedlung, bestenfalls ein Dorf.«
Hakon fiel auf, dass Helmdal seinen Vater mit der altmodischen Höflichkeitsform »Ihr« ansprach. Das war ungewöhnlich, meist wurden Fahrensleute respektlos geduzt. Ein warmes Gefühl überkam Hakon, als er in die Augen des Mannes schaute. Entweder hatten sie in diesem Winkel der Ostprovinz noch keine schlechten Erfahrungen mit Fremden gemacht oder aber die Bewohner Vilgrunds wussten sich gegen ungebetene Gäste zu wehren. Jedenfalls war das Auftreten des Bürgermeisters von einer selbstsicheren Höflichkeit, die Hakon das Herz erwärmte.
»Na, Junge. Was bereitet dir denn so gute Laune?«, fragte Helmdal.
»Ich muss meinem Vater Recht geben. Dies ist ein wunderbarer Flecken.«
Der Bürgermeister lächelte. »Ja, wir können uns nicht beklagen. Aber wir arbeiten auch hart dafür. Und ich vermute, dass ihr ebenfalls nicht zu den Leuten gehört, die lange auf der faulen Haut liegen.«
Hakon schaute zu seinem Vater auf, dem die Erleichterung jetzt deutlich ins Gesicht geschrieben stand.
»Nein, das ist wahr«, sagte Boleslav.
»Sehr schön«, sagte Helmdal. »Ihr könnt die Wagen auf der Gemeindewiese am nördlichen Dorfende abstellen.«
Boleslav knetete den Filzhut in seinen Händen. »Wir würden auch gerne eine Vorstellung abhalten, wenn es recht ist.«
Helmdal strahlte über das ganze Gesicht. »Aber natürlich. Ich wagte kaum, Euch zu fragen. Wir würden uns sehr
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