Morland 01 - Die Rückkehr der Eskatay
seine Karte beim Kontrolleur, der beim Anblick des Zwanzigkronenscheins murrte und dann setzte sich der Bus in Bewegung. Es war ein Stampfen und ein Schnaufen und ein Zischen und ja, einfach berauschend.
Lorick war eine wundervolle Stadt. York hatte zwar die Bilder der Hochhäuser gesehen, die sich bis zu fünfzig Stockwerke in den Himmel bohrten, aber Ambrotypien konnten niemals die Größe und Majestät der Gebäude einfangen, in deren Fenstern sich das Sonnenlicht hundertfach spiegelte.
Die Luft war erfüllt mit den fremdesten, exquisitesten, betörendsten Düften. Dieser Bus zum Beispiel. Er war ein lebendiges Wesen, das Kohle fraß, Wasser trank und dessen Atem nach Teer, Öl und Eisen roch.
Oder die Frau, die bei der nächsten Station eine Reihe hinter ihm Platz genommen hatte! Er nahm ihr Parfüm wahr, das sinnlich süß und schwer war. Er stellte sie sich als eine Dame von Welt vor, mit rot geschminkten Lippen und porzellanweißer Haut. Ihre dunklen Augen mochte sie hinter einem zarten Schleier verbergen, der Hut war mit zwei perlenbesetzten Nadeln an der hochgesteckten Frisur befestigt. Die Haare waren rot wie das Licht der untergehenden Sonne. York drehte sich nicht um. Er wollte seine Fantasie nicht mit der Wirklichkeit vergleichen.
Der Bus hatte die Villengegend verlassen und war nun in eine belebte Geschäftsstraße eingebogen. York schaute dem Treiben am Straßenrand zu, wo sich ein Geschäft an das nächste reihte und eine Vielzahl bunter Markisen den breiten, von Bäumen flankierten Bürgersteig in einen sommerlichen Arkadengang verwandelten. Und plötzlich konnte er dem Drang nicht mehr widerstehen. Er stand auf, um an der nächsten Station auszusteigen. Erst jetzt schaute er die Dame an, die die ganze Zeit hinter ihm gesessen hatte. Sie sah wirklich und wahrhaftig so aus, wie er sie sich vorgestellt hatte! Er lächelte und sie schenkte ihm ein Lächeln zurück, in dem alle Versprechen dieser Welt lagen.
Die Buskarte hatte nur zwei Kronen gekostet. Die Rückfahrt eingerechnet blieben ihm also sechzehn Kronen, die er ausgeben konnte. Was sollte er kaufen? Sein Blick fiel in die Auslage einer Bäckerei, die neben Brot auch anderes Gebäck und kleine Torten verkaufte. Genau das Richtige, um den kleinen Hunger zu stillen, der seinen Magen kitzelte.
York setzte sich an einen Tisch, von dem aus er den Verkehr beobachten konnte. Was hatte er in all den Jahren alles entbehren müssen! Auch wenn ihn der Tod seines Vaters noch immer bedrückte, mischte sich auch ein Tropfen Wut in die Trauer. Warum war ihm das hier verwehrt worden? Es hatte keinen Grund dafür gegeben! Wenn ihm jemand nach dem Leben trachtete, dann schützten York weder die Mauern noch die Wachen, die er soeben selbst auf eine geradezu lächerlich einfache Art ausgetrickst hatte. Er seufzte. Das Leben konnte so einfach sein, man musste es nur nehmen, wie es kam. York hing noch eine Zeit lang seinen Gedanken nach,dann bezahlte er, trank seinen Tee aus und nahm den nächsten Bus Richtung Bahnhof.
Als er an der Zentralstation ankam, war es ihm, als hätte man ihn in eine andere Welt katapultiert. Hier war das pulsierende Herz der Stadt, des Landes, ach was, der ganzen Welt. Alle Busse, Bahnen und Züge schienen hier zusammenzutreffen. Selbst für den Luftschiffverkehr hatte man auf den Hochhäusern, die den Platz umgaben, Landemasten errichtet.
Herrschte auf den Straßen schon ein buntes Treiben, so konnte man die Menschenmassen hier im Bahnhof getrost als Gedränge bezeichnen. Anfangs war es York unangenehm, fremde Menschen zu berühren. Er wich ihnen aus und machte absurde Verrenkungen, um nicht mit ihnen zusammenzustoßen. Aber natürlich ließ sich das nicht vermeiden. Jede Berührung war wie ein elektrischer Schlag, der ihm zunächst fast körperliche Schmerzen bereitete, dann aber, nach einer sehr schnell eingetretenen Gewöhnung, fand er Spaß daran. York war sich zum ersten Mal seines Körpers bewusst. Er stieß die Menschen immer aggressiver an, bis ihn ein ärmlich gekleideter Junge, den er besonders heftig angerempelt hatte, mit seinen dunkelblauen, erstaunlich erwachsenen Augen fixierte, einen Moment verwirrt anstarrte, dann aber wortlos weiterging.
Etwas Merkwürdiges war geschehen. Bei allen anderen, die er beiseitegestoßen hatte, hatte York eine Art Barriere überwinden müssen. Bei diesem Burschen aber war es das Gegenteil gewesen. Sie hatten sich wie Magneten angezogen, was aber offenbar nur York gespürt hatte. Suchend
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