Morland 02 - Die Blume des Bösen
Morgenröte wird völlig überschätzt. Ein paar ihrer Mitglieder sind schon länger hier. Harmlose Weltverbesserer durch und durch.«
»Weil sie keine Kriminellen sind, sondern grundanständige Menschen, die sich um ihre Familien sorgen.«
»Wie rührend. Ich heule gleich. Noch einmal: Was wollte Swann von euch?«
»Wir wissen, dass Begarell einen Staatsstreich plant. Er destabilisiert das Land, um gegen die Verfassung ein zweites Mal gewählt zu werden.«
»Hör mir mit Politik auf. Das interessiert hier drinnen niemanden.«
»Sollte es aber. Begarell ist ein Eskatay.«
Der Ausdruck, den diese Nachricht auf Pavos Gesicht zauberte, hätte Lennart gerne auf einer Ambrotypie festgehalten. Er war eine Mischung aus Belustigung, Irritation – und Angst.
»Wen willst du verarschen?«, fragte Pavo aufgebracht. »Die Eskatay gibt es nicht und hat es nie gegeben.«
»So? Hier sitzen doch bestimmt einige, die das Vergnügen hatten, Bekanntschaft mit Swann zu schließen. Sprich mit ihnen. Sie werden dir erzählen, was er ihnen angetan hat. Denn Swann war einer von ihnen, ein Eskatay.«
Pavo schwieg. Wütend bearbeitete er die Wäsche und sagte kein Wort. Lennart wusste nicht, ob er etwas Falsches gesagt hatte, doch er bereute es mittlerweile, überhaupt mit Pavo gesprochen zu haben. Er hatte sich einem Mann mitgeteilt, dem er im normalen Leben nicht von hier auf die andere Straßenseite getraut hätte. Doch was war schon normal innerhalbder Mauern eines Gefängnisses, das die gefährlichsten Verbrecher Morlands beherbergte? Hatte Pavo nicht gesagt, dass auch Anhänger der Armee der Morgenröte hier eingesperrt waren? Vielleicht war es besser, zu ihnen Kontakt aufzunehmen, anstatt sich einem windigen Burschen wie ihm anzuvertrauen? Oder er versuchte es doch einfach auf eigene Faust? Oh Gott, er musste hier raus, sonst würde er wahnsinnig werden!
Plötzlich überkam ihn diese abgrundtiefe Verzweiflung, von der er gehofft hatte, sie einigermaßen gezähmt zu haben. Doch dieses Gefühl der Verlorenheit war ein heimtückisches Tier, das sein Haupt dann erhob, wenn er am schwächsten war. In der Nacht, wenn es dunkel war und er alleine mit seinen Gedanken kämpfte. Oder jetzt, wenn ihm die Hoffnungslosigkeit seiner Situation in all ihrer Dramatik bewusst wurde.
Den Rest des Tages sprach Pavo kein Wort mit Lennart und ging ihm aus dem Weg, wenn es die Situation erlaubte. Erst am Abend, als sie im großen Saal das Abendessen einnahmen, setzte sich das Frettchen mit seinem Tablett zu ihm.
»Ich kannte Swann«, sagte Pavo. »Er hat mich persönlich verhört. Es war, als ob er mit einem kalten Messer mein Hirn in hauchdünne Scheiben zerlegte, um zu sehen, wie ich ticke. Ich habe Bilder gesehen, von denen ich hoffte, dass sie nicht existierten. Schon damals hatte ich den Verdacht, dass er mir einen einmaligen Blick in seine Welt gewährt hatte, obwohl das natürlich absolut unmöglich war. Aber wenn er mich verhörte, sah ich die Welt durch seine Augen. Und diese Weltwar öde und leer. Sie wurde beherrscht von einem Mann, der wie ein König auf dem Berg verächtlich auf die anderen Menschen hinabsah. Swann ekelte sich regelrecht vor Menschen. Ich hätte jede körperliche Folter über mich ergehen lassen, wenn diese Qual dafür ein Ende gefunden hätte.« Er zerkrümelte sein Brot in kleine Stücke. »Sein Tod ist eine gute Nachricht.«
»Was hast du getan? Du hast selbst gesagt, dass Swann sich nicht mit kleinen Fischen abgibt.«
»Ich sagte doch bereits: Ich handle mit Informationen. Das war nicht nur so dahergesagt. In meinem früheren Leben habe ich für eine Zeitung gearbeitet.«
Lennart blickte überrascht von seinem Tablett auf.
»Ein Journalist? Entschuldige, ich hätte gedacht, du bist ein ... ein ...«
»Spinner, Irrer, Außenseiter«, sagte Pavo trocken. »So wollte ich es nicht ausdrücken.«
»Doch, doch. Ist schon in Ordnung. Ich fasse das als Kompliment auf. An diesem Ort muss man sich verstellen können. Obwohl das mit dem Außenseiter stimmt.« Er tunkte ein Stückchen Brot in den undefinierbaren Brei in seiner Schüssel, der nach Bohnen roch. »Hier im Knast kann es unangenehme Folgen haben, wenn man zu klug ist. Du bist ein Bulle, nicht wahr?«
Lennart hätte sich beinahe an seinem Essen verschluckt.
»Du stellst dich sehr geschickt an«, fuhr Pavo fort. »Aber es gibt ein paar Dinge, an denen du arbeiten musst. Deine Körpersprache verrät dich. Du bist zu selbstsicher. Ohne eigenes Gefolge
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